Alles beginnt mit einem Brief. Während man dem Text lauscht, sieht man
William auf dem Weg zu seinem Freund aus Kindertagen, der ihn verzweifelt
zu sich zitiert. Roderick und seine Zwillingsschwester Madeline sind die
letzten Überlebenden der Familie Usher, beide offensichtlich krank, dem
Tode geweiht. Für William beginnt der verzweifelte Versuch, den Freund
zu retten, der ihn fast selbst das Leben kostet, oder in dieser Inszenierung
es auch tut.
Die
Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe entwirft ein vielschichtiges düsteres
Seelenszenario, das Arthur Yorinks und der Komponist Philip Glass selbst
für ihre Zwecke bearbeitet haben. Der Regisseur Charlos WAGNER kennt seinen
Poe gut, seinen Glass auch, und zeigt eindrückliche Bilder und Figuren
im beeindruckenden Bühnenbild von Rifail AJDARPASIC. Nebel liegt über
der Szene als William endlich das Haus der Ushers erreicht. Vom Haus sieht
man nur einen gewaltigen Knochenbogen, wie das Skelett eines ausgestorbenen
Tieres. In dieses führen Treppenstufen, nur wo sie enden, das sieht man
nicht. Roderick ist mit einer weiten schwarzen Hose gekleidet und einem
durchbrochenen Oberteil, das in dunklem Kontrast zu Williams senfgelbem
Mantel steht (Kostüme Ariane Isabell UNFRIED).
Sechs
Tänzer, ebenfalls in weiten schwarzen Hosen, spiegeln die Situation. Nervöse
Zuckungen, wie neurologische Störungen, zwischendurch ein Veitstanz springend
und fallend, starre Blicke, archaischer Kopfschmuck machen die Szene noch
enger, bedrohlicher, haben aber zugleich eine faszinierende Ästhetik.
Bedrohlicher
wird es auch, als William überhaupt erst von Madeline erfährt, die er
als Kind nicht kannte, oder als Roderick ihn fragt, warum er überhaupt
da sei, wo sie sich doch kaum kannten, ein krasser Widerspruch zu den
flehentlichen Bitten des Briefes. Zudem scheint Madeline, in weißem durchscheienenden
Kleid, Fehlgeburten zu erleiden, an denen sie scheinbar stirbt. Doch nach
der Grablegung ertönen weiter ihre Schreie. William ist mittlerweile tief
ins Geschehen verstrickt. Auch er trägt nun schwarz und entwickelt ein
nervöses Zucken. Am Ende versinken der unheilvolle Brief, und das gesamte
Haus Usher mit allen Menschen darin in einem Malstrom.
Bedrückend
ja, aber mehr noch gefangen nehmend ist diese Geschichte und die Sänger
tragen das ihre dazu bei. Gregor DALAL als Willam zeigt anschaulich den
graduellen Abstieg vom freundlichen selbstbewußten jungen Mann zum ums
Überleben kämpfenden, und das mit gewohnt souveräner Stimme. Harrie VAN
DER PLAS als Roderick mit gehetzten Bewegungen und dunklen Ringen um die
Augen. Das die Stimme manchmal etwas spröde und angestrengt ist, paßt
hier ja sogar. Ella TYRAN als Madeline spielt mit vollem Körpereinsatz
und singt ihre Vokalisen eindrucksvoll. Hans KITTELMANN als Arzt und Sebsatian
CAMPIONE als Diener ergänzen das sehr gute Ensemble.
Lukas
BEIKIRCHER am Pult der kleinen Besetzung des ORCHESTERS DES STAATSTHEATERS
AM GÄRTNERPLATZ beweist, daß neunzig Minuten minimalistischer Musik mitnichten
eintönig und langweilig sind, sondern voller Dynamik und Facettenreichtum.
Leider verliert er dabei die Schärfe der Klänge, wird stellenweise lieblich,
was im Gegensatz zum Geschehen auf der Bühne steht.
Trotzdem,
ein Abend, der in den Bann schlägt, viel Platz für die Phantasie läßt
und damit Raum für weitere Besuche der Auffühung. KS
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