"AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY"

Oh, wie wohltuend. Wieviele Regisseure würden sich die Chance entgehen lassen, "Mahagonny" gerade jetzt in Anzügen und mit Firmeninsignien diverser Banken und Ölkonzerne zu inszenieren. In diese Falle tappt Thomas SCHULTE-MICHELS nicht. Zum Glück, er nimmt die Zuschauer ernst, verläßt sich auf den Brechtschen Text, und gewinnt.

Bei ihm spielt das Stück im Zirkusmilieu. Die Drehbühne ist die Manege, die Witwe Begbick die Zirkusdirektorin im Glitzerfrack (Kostüme Tanja LIEBERMANN), die "Damen" einschließlich Jenny in roter Satinkorsage und Tüllröckchen. Und in der Manege nur goldgelbe Holzstühle, die allerdings mit dem Wachsen von Mahagonny immer größer werden (Bühnenbild vom Regisseur).

Von Realismus keine Spur, wenn schon, dann hat das Ganze Ähnlichkeit mit Las Vegas, aber auch nur sehr bedingt. Hier wird der Mond von Alabama zum Blick in ein rundes Whiskyglas, die Stühle halten alles abstrakt und bilden einen sich immer wandelnden Hintergrund für die Darsteller.

Und hier sind sie nun, die Glück- und Geldsucher. Die Witwe Begbick, eine peitschenschwingende Ann-Katrin NAIDU, die etwas angestrengt klingt, und ihre beiden Komplizen Fatty, ein spinnenartiger Cornel FREY und der Dreieinigkeitsmoses von Stefan SEVENICH, der nicht nur im Boxkampf überzeugt. Die Jenny von Heike Susanne DAUM, ein Traum an Stimmgestaltung und Bühnenpräsenz. Wie sie vom Gurren in die Höhe wechselt ist purer Genus. Ihr in nichts nach steht der Jim Mahoney von Wolfgang SCHWANINGER. Mit dunkel umrandeten Augen spielt er sich bis in den Wahn, die Stimme von großer Strahlkraft.

Aber auch Adrian XHEMA als Jack, Gregor DALAL als Bill und Martin HAUSBERG als Alaskawolfjoe runden das Bild ab. Alle sind dabei zu jeder Zeit textverständlich, werden von Andreas KOWALEWITZ und dem ORCHESTER DES STAATSTHEATERS AM GÄRTNERPLATZ nie zugedeckt, wenn sie die Kurt Weill'schen Gassenhauer von "Wie man sich bettet, so liegt man", "Erst kommt das Fressen..." oder "Mond von Alabama" zum Besten geben. Auch der CHOR läßt seiner Spielfreude freien Lauf.

Schade, daß ein tagesaktuelles Stück von 1930 auch 2010 noch tagesaktuell ist, aber mit soviel Charme und trotzdem Präsenz präsentiert, wie hier, zeigt dieser genüssliche Abend eines, der Mensch ändert sich eben doch nicht. Bei einer Stadt, in der nur das Geld zählt und die Freundschaft, ja Liebe aufhört, sobald das Geld weg ist, fühlen wie uns doch alle schmerzlich erinnert. Da bleibt einem das Vergnügen immer wieder im Hals stecken, so wie Weill und Brecht es wohl gewollt haben. KS