Nachdem
das Tagebuch der Anne Frank 1960 auch in Rußland erschien, war der Komponist
Grigori Frid sofort fasziniert von den Texten der in Amsterdam versteckten
vierzehnjährigen Jüdin, die den Holocaust um nur wenige Wochen nicht überlebte.
Aber dann kamen verschiedenste Widrigkeiten, und es dauerte bis 1993 und
der deutschen Erstaufführung in Nürnberg, um das Werk durchzusetzen. Seitdem
wird es regelmäßig in Deutschland gespielt, nun auch in einer Produktion
des Staatstheaters am Gärtnerplatz in Koproduktion mit der Oper Brno erstmals
in München.
Frid
hat als Libretto nur Texte aus dem Tagebuch verwendet und damit eine Monooper
für eine Sopranistin und Kammerensemble geschaffen. Anne erzählt, wie
ihr Versteck aussieht, die Ängste entdeckt zu werden, die Aufmärsche,
die sie draußen beobachten kann, von ihrem Freund Peter und über die Menschheit
und Gott; die naive Weisheit einer Vierzehnjährigen. Das Bühnenbild von
Daniel DVORÁK ist ein schief stehender Setzkasten mit vier Fächern, der
die Enge von Annes Leben nur noch betont, darin schreibt sie ihre Wünsche
mit Kreide an die Wand. Dvorák verzichtet darauf, Thérèse WINCENT als
optisches Double von Anne zu trimmen, deren Bild ja in aller Welt bekannt
ist, sie spielt mit blondem Langhaar.
Die
Regie von Heinz LUKAS-KINDERMANN ist sparsam, er läßt den Texten und der
Musik absolute Priorität. Frids Musik ist immer dicht am Inhalt des Tagebuchs,
mal als Tanz, mal als Marsch, erinnert sie an Schostakowitsch in ihrem
vielseitigen Gebrauch der Stile und der variantenreichen Rhythmik. Das
Kammerensemble, bestehend aus zehn Musikern des ORCHESTERs DES STAATSTHEATERS
AM GÄRTNERPLATZ unter Oleg PTASHNIKOV belebt diese Klänge eindringlich,
deckt aber die Sängerin nie zu.
Kann
eine Oper den Grauen einer solchen Biographie mitten im Holocaust gerecht
werden? Frid wählt kleine Töne, das kleine Leben, das Grauen im Wissen
um das Schicksal der Heldin, ein junges Mädchen von Thérèse Wincent mit
vielen Schattierungen eindrucksvoll dargestellt. An das Ende gemahnt das
letzte Bild, in dem Anne in gleißend weißes Licht entschwindet. Nur die
Musik hat das letzte Wort. KS
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