Eigentlich
müßte ich zwei Kritiken schreiben. Einmal für die Akte 1 bis 3 und eine
weitere für den vierten Akt. Grund hierfür ist die völlig unterschiedliche
Leistung von Tenor und Sopran im letzten Akt und beim Rest des Abends.
Drei Akte lang wurde ich weder mit Johan BOTHAs Otello noch mit Adrianne
PIECZONKAs Desdemona richtig warm.
Botha
hatte zwar beeindruckende Höhen zu bieten, nur sobald von ihm leisere
Töne verlangt wurden, verlor die Stimme an Qualität, klang eigenartig
flach und war auch nicht in der Lage Emotionen zu wecken. Dazu kam, daß
bei ihm der ständige Wechsel von Otellos Seelenzuständen einfach nicht
in der Stimme stattfand. Pieczonka wirkte merkwürdig unbeteiligt, sowohl
im Liebesduett, als auch in den folgenden beiden Akten. Zudem war die
eine oder andere Schärfe zu hören, die Stimme blühte nicht richtig auf,
sondern schien nur zu gebremsten Gefühlen fähig zu sein. Desdemona blieb
ein fades Hascherl.
Was
genau in der kurzen Lichtpause zwischen dritten und vierten Akt passiert
sein mag, kann ich nicht sagen, doch mit Beginn des Finales waren beide
Sänger verwandelt. Pieczonka sang ein höchst emotionales, berührendes,
in jeder Phase aufblühendes "Lied von der Weide" und "Ave Maria", Botha
gelang es, zwischen Mordlust noch Züge von Zärtlichkeit in seine Stimme
zu bringen und mit dem Selbstmord Otellos sogar zu berühren. Ich wäre
glücklich gewesen, hätte diese Wandlung schon ein wenig früher stattgefunden…
Lucio
GALLO war als Jago hingegen von Beginn an "da". Immer in Bewegung (trotz
leichter Bewegungseinschränkung), immer auf der Hut. Dieser Jago zeigt
seine ganze abgründige Seele nur, wenn niemand zusieht. In Gesellschaft
hingegen schmeichelt er mit unwiderstehlichen piani Gift in die Ohren
der anderen. Er hat es nicht möglich Gefährlichkeit mit Brüllen auszudrücken,
die exzellente Phrasierung ist viel wirkungsvoller. Sein plötzlicher Wandel
vom jovialen Kumpel zum Erzbösewicht des "Credo" erinnerte mich spontan
an Professor Yana nach dem Öffnen der fob watch (wer "Doctor Who" sieht,
wird wissen, was ich meine).
Die
wahrscheinlich schönste Stimme des Abends hatte Cassio Wookyung KIM aufzubieten,
der damit seinem Vorgesetzten die Show stahl. Auf einmal war Cassio die
vierte Hautrolle des Stückes, weil der junge Tenor mit seinem wertvollen
Timbre und lebendigem Spiel ohne aufdringlich zu wirken, sehr nachhaltig
das Münchner Publikum auf sich aufmerksam machte.
Enkelejda
SHKOSA war eine mehr als luxuriöse Emilia mit schönen Mezzo. Francesco
PETROZZI als Rodrigo blieb stimmlich und darstellerisch so blaß wie sein
weißes Kostüm; es verwunderte nicht, daß Desdemona kein Interesse an ihm
hat, denn dafür hätte sie ihn wahrnehmen müssen. Lodovico Christian VAN
HORN war wenig respekteinflößend, zumal die Stimme auch kaum Durchschlagskraft
hatte. Christoph STEPHINGER als Montano machte einen soliden Job, während
der Herold von Igor BAKAN aufhorchen ließ.
Am
Pult des BAYERISCHEN STAATSORCHESTERS stand Bertrand de BILLY und hielt
den Abend zusammen, insbesondere als der CHOR im ersten Akt einmal heftig
ins Schleudern geriet. Es fehlten gerade in den ersten drei Akten ein
wenig die großen Akzente, die vielleicht die Beziehung von Otello und
Desdemona wenigstens im Orchestergraben hätten stattfinden lassen; im
vierten Akt war dann jedoch eine höchst subtile, sehr beeindruckende Leistung
zu hören.
Ach,
ja, eine Inszenierung gab es ja laut Programmheft auch noch. In der Bühne
und den Kostümen von Alison CHITTY hätte man auch "Turandot", "Elektra"
oder "Idomeneo" spielen können. Das war völlig austauschbar mit den mehretagigen
Gestellen. Irgendeine Personenregie konnte man auch nicht mehr erkennen,
die von Francesca ZAMBELLOs ursprünglicher Inszenierung übrig geblieben
sein mochte, es bewegte sich alles im konventionell-langweiligen Rahmen,
abgesehen von der leicht peinlichen Choreographie (Alphonse PULIN) und
dem albernen Arrangement des Kinderchores. Das führte dazu, daß zumindest
Otello und Desdemona leicht allein gelassen wirkten; vor allem Otellos
in Streßsituationen ständiges Greifen an den Kopf wirkte eher hilflos
als daß man einem streßbedingten Migräneanfall hätte glauben können. MK
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