Die
erste Premiere der diesjährigen Opernfestspiele war eine Münchner Erstaufführung,
obwohl die Oper bereits über achtzig Jahre alt ist. Solange mußte man
hier auf den "Doktor Faust" von Ferruccio Busoni warten. Und es war höchste
Zeit, daß dieses starke Stück Musik seinen Weg nach München gefunden hat.
Busoni
hat seinen Faust nicht beendet, bei der Uraufführung 1925 in Dresden hatte
ein anderer das Werk vollendet: Philipp Jarnach. Dessen Schluß erwies
sich als so stark, daß erst 2004 die unvollendete Fassung als solche gegeben
wurde. Und auch Regisseur Nicolas BRIEGER entschied sich für München für
die unvollendete Fassung.
Der
Beginn der Inszenierung zitiert den 1. Weltkrieg mit Uniformmantel, Wehrmachtshelm
und zerborstener Orgelpfeife, und damit ein Ereignis, daß Busoni nicht
unbeeinflußt gelassen haben dürfte in den Jahren der Komposition. Nicht
nur Fausts Welt ist am Ende, nein, die ganze Welt ist es in einer Weise,
die vorher nie da gewesen war. Faust als Maler lebt in einer Stadt irgendwo
zwischen russischem Futurismus und Fritz Lang, kalt und abweisend (Bühne:
Hermann FEUCHTER) und ist nur zu dankbar, das Zauberbuch zu bekommen.
Die Geister, die er ruft, und die als bronzefarbene nackte Figuren schwebend
wie gefallene Engel in der Luft hängen, befriedigen ihn aber nicht, nur
Mephisto, der sich, wie bei einer Geburt unter Faust hervorquält, hält
seinen Forderungen stand. Brieger zeigt Mephisto zunächst als Zwitterwesen
mit langer Lockenpracht und Büstenhalter auf behaarter Brust. Aber im
Augenblick des Paktes wird er zum Doppelgänger Fausts, zum Schatten, der
auch im Dunkeln nicht verschwindet. Und um das Doppelgängermotiv noch
weiter auszureizen, erscheint Faust mal als lebensgroße Puppe (beeindruckend
gestaltet), oder in kleiner Form gleich im Dreierpack. Er kann sich selbst
nicht entgehen.
Daran
scheitert auch seine Beziehung zur Herzogin von Parma, einer Frau, die
er fluchtartig verläßt, nachdem er sie in ihrer Hochzeitsnacht verführt
und geraubt hat. Auch die Erscheinung Helenas, neben dem Schluß die von
Busoni nicht vollendete Szene, kann Faust nicht vom Bewußtsein des Untergangs
befreien. Nachdem er noch mal den Chimären der Toten begegnet, bricht
er tot vor der metallenen Skyline der Stadt zusammen. Passanten gehen
achtlos an ihm vorbei.
Eindringliche
Bilder, die Brieger hier findet, so auch zum Beispiel, wenn der Bruder
eines von Faust verführten Mädchens auf Mephistos Geheiß in der Kirche
mit Orgelpfeifen gepfählt wird. Faust übergießt die Leiche mit Blut. Der
Schritt auf die Seite der Schuld ist endgültig vollzogen.
Die
Sänger sind starke Begleiter dieses Konzepts. So Wolfgang KOCH in der
Titelrolle der sich, mal aktiver Held, mal Spielball der Teufel immer
mehr steigert. Oder John DASZAKs Mephisto, stimmlich mit angestrengter
Höhe, aber ansonsten auch gerade spielerisch ein Hochgenuß. Als einzige
Frau bietet Catherine NAGLESTAD in der Rolle der Herzogin Gesang vom Feinsten,
und aus der Riege der vielen kleinen Partien seien Steven HUMES als spießiger
Famulus Wagner und mal wieder Alfred KUHN als Zeremonienmeister herausgehoben.
Alle singen äußerst textverständlich, keine Selbstverständlichkeit, bei
den extremen Partien.
Das
Libretto von Komponisten selbst ist knapp und auf den Punkt, mal frei,
mal gereimt und die Musik, aus der Spätromantik kommend, jedoch über weite
Strecken viel strenger und dunkler, fügen sich aufs eindrucksvollste zusammen.
Tomáš NETOPIL hält am Pult die Zügel straff, manchmal fast zu straff,
ist aber mit dem BAYERISCHEN STAATSORCHESTER umsichtiger Begleiter und
eindrücklicher Gestalter.
GMD
Kent NAGANO schätzt dieses Werk, das er selbst bereits auf CD eingespielt
hat, sehr, nun weiß man auch in München warum. KS
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