Es
fällt der Rezensentin schwer, hier objektiv zu sein, denn was die Bayerische
Theaterakademie hier ihren Studenten zumutet (Inszenierung Vera NEMIROVA)
grenzt gelinde gesagt an Überforderung in der Darstellung und ist keine
Referenz an den Komponisten Christoph Willibald Gluck, der diese opéra
comique zwar in der Zeit des leichtlebigen , sinnlichen und verspielten
Rokoko (Uraufführung 1764) nach dem Libretto von L. H. Dancourt und dem
deutschen Text von J. Heinrich Faber (1780) komponierte, aber noch lange
nicht berechtigt, derartige realistische Sexorgien auf die Bühne zu bringen.
Die
Regisseurin hat zwar mit Hilfe von Josef-Horst LEDERER nach der Original-Aufführungspartitur
eine Dialog-Fassung vorgenommen, so daß man mehr Dialoge als Musik vernommen
hat. Dieses kaum aufgeführte Werk des großen Reformers der Oper der damaligen
Zeit, das einige musikalisch hochkarätige Arien enthält, hätte man sehr
gerne in einer vernünftigen werksgerechten Inszenierung erleben wollen,
was leider nicht stattfand.
Schon
zu Anfang mußte man sich in das Milieu einer sektenartigen Männer-WG einfinden,
wo man die pantomimischen Morgenzeremonien mit leiser orientalischer Radiomusik
untermalte, in die die beiden Hauptprotagonisten Prinz Ali mit seinem
Diener Osmin (Junho YOU mit ausgereiftem gut geschultem Tenor und Michael
BERNER in großer Spielfreudigkeit) eindrangen. Sie suchten die Verlobte
des Prinzen Rezia (Guibee YANG mit gutem Sopran-Stimm-Material) mit ihren
Dienerinnen Balkis, Amine und Dardané (Theresa HOLZHAUSER als Balkis,
Katja STUBER als Amine, Sabine DIETHELM als Dardané, wobei bei allen Damen
ein großartiges schauspielerisches Können auffiel, stimmlich ausgereift
bereits Katja Stuber) - aber wo blieb die Musik?
Die
kam erst nach fünfzehn Minuten des Wartens, und da wurde man während des
ganzen Abends nicht enttäuscht. Alexander LIEBREICH, dem die musikalische
Leitung des MÜNCHNER KAMMERORCHESTERS oblag, machte seine Sache sehr gut
und führte gekonnt durch den Abend und brachte wenigstens dadurch die
Kompositionsgedanken Glucks nahe. Wenn dieser das Bühnengeschehen seiner
Oper in dieser Art und Weise hätte miterleben müssen, er hätte sich wohl
im Grabe umgedreht.
Denn
- geraubte Europäerinnen in einen Harem einzusperren, ist ja wohl im Orient
Gang und Gäbe gewesen, und daraus ein Bordell zu machen, gehört zu den
Inszenierungs-Ideen der heutigen Zeit. Aber junge, teils noch in Ausbildung
befindliche Sänger zu derartig realistischen Sexszenen zu bewegen, das
erfordert schon ein wenig Mut und Kaltschnäuzigkeit, zumal solche nun
wirklich überhaupt nichts mit der Musik zu tun haben. Während des gesamten
Handlungsgeschehens - kann man davon überhaupt noch sprechen bei dieser
sexuellen Überschwemmung? - spielte ein übergroßer Plüschbär mit, bei
dem sich dann am Schluß herausstellte, daß er wohl den armen sinnlos erschossenen
Bär Bruno darstellen sollte, den Prinz Ali an den Ohren von der Bühne
zog mit den Worten: "Bruno, wir suchen unser Mekka." Erst dann wurde klar,
daß Bruno wohl die Sinnlosigkeit des langen Suchens nach Rezia und ihren
Dienerinnen auf der Pilgerreise von Ali und Osmin verkörpern sollte, da
alle Handlungsfiguren ihren eigenen neu gefundenen Pilgerweg gehen wollten.
Von
den übrigen Sängerdarstellern sei noch erwähnt die Spielfreudigkeit des
mit guter Stimme ausgestatteten Georgos KANARIS als Calender, während
die übrigen Protagonisten noch einiges an sängerischem Können dazulernen
müssen, und deshalb sollen sie auch in dieser Besprechung nicht namentlich
erwähnt werden.
Hervorzuheben
allerdings ist die Leistung der Maler Melanie GLANZMANN, Niyousha NASRI
und Florian ZEUGHAN, die sich als Graffiti-Künstler betätigten und die
karge Bühnendekoration und Kostüme (Klaus Werner NOACK) mit gelungenen
Zeichnungen innerhalb des letzten Aktes amüsant ausstatteten.
Berechtigte
Buhs am Schluß für die Inszenierung, viel Beifall für die jungen aufstrebenden
Sängerdarsteller, die ihr Bestes gegeben haben. I. St.
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