Premierenfieber
erfaßte uns, als wir am Abend nach allzu langer Zeit die Möglichkeit erhielten,
Pjotr Iljitsch Tschaikowski romantisches Werk sogar in der Originalsprache
nach dem gleichnamigen Roman von Alexander Sergejewitsch Puschkin - Text
von Konstantin Stepanowitsch Schilowski - szenisch aufgeführt (ein Wunder
bei dem Streik der Bühnenarbeiter in München) zu erleben. Den deutschen
Text hat der leider so früh verstorbene Alexander von Schlippe wörtlich
übersetzt, den wir für die deutsche Sprache merkwürdig auf dem mitlaufenden
Spruchband während der Aufführung mitlesen konnten.
Musikalisch
und hinsichtlich der Stimmenqualität erfüllte der Abend voll die Erwartungen,
zumal hier die Zukunft der Opernwelt auf der Bühne stand. Denn die Aufführung
war eine Koproduktion der Bayerischen Theaterakademie August Everding,
Studiengang Gesang/Musiktheater der Hochschule für Musik und Theater mit
dem Opernhaus Halle.
Unter
der sehr guten tempigerechten Stabführung von Ulrich NICOLAI, der das
SYMPHONIEORCHESTER DER HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER MÜNCHEN nebst
Mitgliedern des ORCHESTER DES RICHARD-STRAUSS-KONSERVATORIUMS MÜNCHEN
dirigierte, entsprach die Rollenbesetzung voll den Gedanken des Komponisten,
so in den Damenstudien Sonja LEUTWYLER als Larina, Wiebke DAMBOLDT als
Olga, Alma WOLF als Filipjewna sowie dazu Sebastian CAMPIONE als Saretzki
und auch als Hauptmann.
Auf
die Sänger der Hauptpartien eingehend zeigte Antonio YANG als Onegin eine
ungemein reife und ausdrucksstarke Leistung, während Ida WALLÉN als Tatjana,
vor allem in der Briefarie ihren hohen lyrischen Sopran voll einsatzfähig
vorstellte. Für den erkrankten Thomas Helm setzte man Ansgar MATTHES als
Lenski ein, der dadurch zwar den Abend retten konnte, aber sich noch entscheiden
muß, in welchem Tenorfach er zu Hause sein will. Marcel CHEONG als Fürst
Gremin sang seine Arie ("Ein jeder kennt die Lieb' auf Erden") gut einstudiert,
während Markus DURST als Monsieur Triquet mit einem ausgeflippten Outfit
seinen Part hervorragend interpretierte, er schoß sozusagen den Vogel
des Abends ab.
Ein
sehr gut einstudierter CHOR (Leitung Philipp AMELUNG) untermalte die Aufführung.
Leider
wurde - wie fast immer - der Abend getrübt durch die merkwürdigen Regieeinfälle
von Florentine KLEPPER. Den ländlichen Teil des Werks auf einem russischen
Dorf spielen zu lassen (ob es nun eine größere Datscha sein sollte, war
nicht zu erkennen, jedenfalls war es kein Adelspalast) und den Schluß
der Oper auf ein Kreuzfahrschiff der Newa zu verlegen, wo sich die russische
Mafia tummelte, waren wohl keine schlechten Regiegedanken (übrigens ausgezeichnet
erdachte Bühnenbilder von Martina SEGNA), aber gleich zu Anfang den Landadel
selbst Enten mit blutverschmierten Kleidern schlachten und völlig inhaltswidrig
Lenski sich selbst erschießen zu lassen, ist äußerst merkwürdig.
Und
dazu noch im letzten Teil die Polonaise in die mittleren Reihen des Parketts
zu verlegen und durch lautstarkes Anklopfen an der Eingangstüre ankündigen
zu lassen (Nikolaus feiert man am 6.Dezember - und solche Sachen stören
dazu noch die musikalische Darbietung) dürfte wohl nicht einem librettokundigen
Operbesucher entsprechen. Daneben mußte man die nicht zum Werk passenden
sinnlosen Handbewegungen aller Beteiligten (gerade auch bei der Polonaise)
und stumme Szenenbilder während der gesanglichen Darbietungen über sich
ergehen lassen (Choreographie Katja WACHTER). Wie erarbeitet man sich
eigentlich solche Regieeinfälle?
Bei
offenbar "Onegin"-Unkundigen war zum Schluß Begeisterung durch starken
Applaus zu vernehmen, den lediglich nur die Sänger verdient haben. Irene
Stenzel
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