Nach
dem großen Brocken der „Meistersinger“ als heuer erste Premiere der Münchner
Opernfestspiele wandte man sich in der zweiten, der kleineren Form der
Kammeroper zu, und ging konsequenterweise ins Prinzregententheater.
Benjamin
Brittens „Rape of Lucretia“ von 1946 erzählt eine sehr alte Geschichte,
die, wie allen guten Geschichten, absolut zeitlos ist. In diesem Fall
leider, da sie von Tyrannei, Krieg, Gewalt, Machtstreben und Morallosigkeit
erzählt. Der Stoff selbst ist oft behandelt worden, in Gedichten, Dramen
und Bildern, nicht zuletzt von Shakespeare. Während des Krieges sind die
Frauen Roms allein in der Stadt und nutzen die Abwesenheit ihrer Männer
durch unmoralischen Lebenswandel. Nur Lucretia nicht, die ihren geliebten
Mann Collatinus nicht betrügt. Das stachelt den Ergeiz der Männer doch
nur besonders an, und eines Nachts kehrt Prinz Tarquinius heimlich in
die Stadt zurück um, nach einem fehlgeschlagenen Versuch der Verführung,
Lucretia zu vergewaltigen. Die kann mit dieser Tat nicht umgehen und ersticht
sich.
Britten
hält sich bei seiner Oper nicht an den großen Landsmann, sondern an ein
Stück von André Obey. Trotzdem erwies sich die arrivierte Shakespeare-Regisseurin
Deborah WARNER als gute Wahl für das Stück. Ihre Regie ist bekannt dafür,
mit wenig Staffage sich ganz auf die Figuren zu konzentrieren. So ist
denn auch die Bühne von Tom PYE zunächst ein leerer schwarzer Raum, nur
einige römische Hütten sind im Hintergrund zu sehen. Und auch später bleibt
die Bühne meist leer, nur das Nötigste, wie ein Spinnrad oder viele Blumen
in der Schlußszene bilden den Rahmen. Aber eben dadurch kommen die Figuren
in heutiger Kleidung, die Männer biertrinkend in Kaki, besonders zum Ausdruck.
Und natürlich durch Brittens Musik. Denn auch in dieser viel zu selten
gespielten Oper beherrscht er es meisterhaft, die Stimmen zu unterstützen
und Situationen emotional zu beleuchten.
Die
Sänger in dieser Produktion sind durchweg wunderbar besetzt. Seien es
Ian BOSTRIDGE und Susan BULLOCK als Chorus in schlichten schwarzen Hosen
und weißem Hemd, sei es die innige Deborah YORK in der Titelrolle, Alan
HELD als ihr Mann oder Christopher MALTMAN als muskulöser Prinz. All das
nimmt gefangen, nichts lenkt ab, und die auch filmischen Mittel sind nicht
schmückendes Beiwerk, sondern integrierter Bestandteil der Geschichte.
So z. B. der Ritt des Tarquinius nach Rom. Die Szene wird von Male Chorus
vor einem dünnen schwarzen Vorhang erzählt, auf den in schwarz-weiß in
einem kleinen Kasten ein Reiter im gestreckten Galopp zu sehen ist, davor
der Rücken einer nackten Frau. Bei Tarquinius’ Durchquerung des Tiber
wird daraus strudelndes Wasser, wild wie der Prinz selbst.
Einen
Teil des Erfolges können bei alldem auch Ivor BOLTON und das BAYERISCHE
STAATSORCHESTER verbuchen, die immer gefühlvolle Begleiter des Geschehens
sind.
Es
geht also doch, diese Mischung aus zeitloser Gültigkeit in der Regie,
guten Sängern und musikalischer Qualität, so ganz ohne Skandal, eher still
und doch ein Abend, der in Erinnerung bleibt. KS
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