Zur
Zeit feiert München 350 Jahre Oper mit Ausstellungen, Buch, Symposion
und einem Opern-Auftragswerk. Und wer käme besser für letzteres in Frage
als ein junger Münchner Komponist? Der dreißigjährige Jörg Widmann komponierte
ein neues Werk für das bald 250 Jahre alte Cuvilliéstheater, und die Uraufführung
fand nun während der diesjährigen Opernfestspiele statt.
Obwohl
Widmann bereits Schauspielmusiken für Shakespeare-Inszenierungen geschrieben
hat, wollte er bei seinem eigenen Werk ein zeitgenössisches Sujet. Der
Dramatiker Roland Schimmelpfennig schrieb ihm ein Libretto, wie es kaum
aktueller sein könnte. Einem Forscherehepaar, auch bei ihrer Arbeit stets
den ängstlichen Blick auf die Börsenkurse gerichtet, gelingt es, einen
Klon der Frau zu erschaffen. Der wirtschaftliche Erfolg bleibt nicht aus,
die Katastrophe auch nicht. Der Mann, Bruno, verliebt sich in den Klon,
der soviel menschlicher und weiblicher ist als seine Frau Patrizia. Am
Ende stehen Tod und Verzweiflung, dann also doch wie bei Shakespeare.
Das
ORCHESTER ist mit nur sieben Streichern (keine Bratschen) besetzt, dafür
neben den Schlagzeug mit doppeltem Holz, Akkordeon, und einem Saitenvirtuosen,
der seinen Gitarren und Banjos mal metallische, mal fast menschlich aufheulende
Klänge entlockt. Peter RUNDEL hat am Pult den Abend sicher unter Kontrolle.
Vor
einem eher technisch kahlem Hintergrund mit Videoeinspielungen (Bühne:
Katrin HOFFMANN) gibt der TÖLZER KNABENCHOR gleich zu Beginn vom Zuschauerraum
aus ein beklemmendes akustisches Bild einer erwachenden Großstadt unserer
Zeit. Der Tag des Durchbruchs in der neuen Menschenerschaffung beginnt.
Regisseur
Falk RICHTER zeigt das Ehepaar beim gemeinsamen Frühstück, das weder wirklich
gemeinsam ist, noch wird außer Pillen etwas gegessen. Kälte bestimmt das
Bild und auch die Musik gönnt sich keine Ruhe, kein Verweilen, drängt
vorwärts, bis auch sie mit der Menschwerdung des Klons Justine etwas Luft
holt. Die Katastrophe wird dadurch nicht aufgehalten, im Gegenteil. Nach
einem orgiastischen Zusammentreffen von Bruno und Justine bleibt für Patrizia
nur noch der Haß und für Bruno der Tod. Justine will ebenfalls sterben
in der Verwirrung um ihre Gefühle, die sie eigentlich gar nicht haben
kann, aber auch der Tod wird ihr, als lebendes Ersatzteillager erschaffen,
nicht zugestanden. Das Schlußwort neben Justine hat, wie kann es beim
Klarinettisten Widmann anders sein, die Klarinette, in diesem Fall stimmungsvoll
unterstützt vom Akkordeon. Die Katastrophe endet leise, hier ist die Ruhe,
die vorher nicht sein konnte.
Die
Sänger, besonders die Frauen, leisten fulminantes. Salome KAMMER als Patrizia
macht ihrem Ruf als Stimmakrobatin alle Ehre, wenn sie von der Sprechstimme
in hohe Lagen springen muß und öfters nur Laute artikuliert. Auch Justine
hat bei ihrer Menschwerdung viel Lautarbeit zu leisten. Julia REMPE wahrt
dabei immer das humane, weiche, mit leichtem Sopran. Dale DUESING als
Bruno und Richard SALTER als weißbekittelter trauriger Forscher Milton,
der sich ebenfalls in Justine verliebt, runden das Bild ab.
An
diesem Abend sieht es mit der Zukunft der Menschheit vielleicht nicht
gut aus, mit der Oper in München nach 350 Jahren aber schon. Kerstin Schröder
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