Offenbar
gibt es am Theater Lüneburg ca. alle zwei Jahre die ganz großen Würfe.
Konnte vor vier Jahren der "Macbeth" zu Begeisterungsstürmen hinreißen,
waren es vor zwei Jahren die "Misérables" und heuer (zumindest szenisch)
das Musical "Jekyll & Hyde" von Frank Wildhorn (Text: Leslie Bricusse,
deutsche Übersetzung: Susanne Dengler und Eberhard Storz). Da ich mich
zuvor weder mit dem Werk an sich, noch mit dem Inhalt sonderlich auseinandergesetzt
hatte, erwartete ich so etwas wie ein Horror-/Grusel-Musical und wurde
Zeuge einer Art Psychodrama.
Philipp
KOCHHEIM verlegt die Handlung in die moderne Welt. Es gibt Flatscreen-Bildschirme
und ein hippes Aquarium, das Teil einer Treppe ist, seine Eintragungen
macht Jekyll mit einer Digital-Kamera. Ein sehr mutiger Ansatz, da Musicals
i.d.R. eher klassisch inszeniert werden. Gute Auslastung und ein durchweg
positives Echo sprechen jedoch durchaus für ein geglücktes Risiko - Glück
gehabt...
Kochheim
geht nicht den konventionellen Weg, die Figuren des Jekyll und Hyde in
zwei verschiedene Persönlichkeiten aufzusplitten, sondern sieht Hyde als
immanenten Teil des Dr. Jekyll. Dafür spricht, daß Hyde ja ausschließlich
alle die Personen tötet, die Jekyll im Weg stehen und nicht etwa irgendwelche
Unbeteiligten. Die Personen sind einfach nicht zu trennen. Daß es keine
Hochzeit gibt, auf der er sich umbringt, sondern er sich in der finalen
Konfrontation seiner beiden Persönlichkeiten selbst den Kopf wegschießt,
ist schlicht und ergreifend konsequent. Er muß sich umbringen und zwar
alleine, bevor er seine Verlobte Lisa noch in Schlimmeres reinzieht, und
er muß es natürlich mittels eines Kopfschusses machen, um den "Dämon"
zu töten, der ja in seinem Kopf sein Unwesen treibt.
Mit
diesen Mitteln schafft Kochheim es, auch die Zuschauer mit in die Handlung
zu integrieren, was er vielleicht gerade zu Beginn des 2. Aktes etwas
ungeschlacht, aber durchaus praktikabel macht. Steckt vielleicht. doch
in jedem ein Hyde? Dieses läßt er auch fragen, wenn er das Stück mit der
Reprise von "Fassade" enden läßt.
Dem
Regisseur gelingt es insgesamt glänzend, einen großen Spannungsbogen zu
erzeugen, der einen atemlos an den Sessel bannt. Die feinen Stöffchen
für die Kostüme verantwortete Barbara BLOCH, das Bühnenbild Sabine MEINHARDT.
Die
Aufführung litt leider unter der Besetzung der Titelrolle (Kaspar HOLMBOE),
der zwar passable Momente hatte, aber in den lauten Passagen einfach nur
schrie. Gerade in seiner Darstellung des Jekyll hätte er für meinen Begriff
mehr den schon psychisch labilen Doktor heraus kehren sollen und vor allem
seine Ansprache vor der Kommission hätte ich mir auch weitaus leidenschaftlicher
und emphatischer gewünscht, was auch der sehr langen und anspruchsvollen
Partie als solches nicht geschadet hätte... Darstellerisch war er recht
solide.
Seine
Lisa lag bei Sigrid BRANDSTETTER in guten Händen. Sie gab eine insgesamt
sehr selbstbewußte Verlobte und konnte sowohl stimmlich, als auch schauspielerisch
voll und ganz überzeugen. Caroline KIESEWETTER sang eine verruchte Lucy.
Schon in ihrem Auftritts-Song "Bring on the men" war sie mehr als nur
eine "leichte Dame", die singt, sondern vielmehr eine Frau, die ihr bisheriges
Leben einfach leid ist und ein neues anfangen will.
Harro
KORN war mir als Sir Danvers viel zu unsympathisch, zudem ließen seine
gesanglichen Qualitäten zu wünschen übrig. Friedrich von MANSBERG war
ein durch und durch solide singender und agierender Utterson, dem ein
paar Ecken und Kanten gut zu Gesicht ständen. Kristian LUCAS als Simon
Stride ist ein v.a. darstellerisch glänzender Widerpart von Jekyll, sängerisch
darf er gerne noch ein kleines bißchen mehr Kontra geben. Marc WESTPHAL
spielte Jekylls treuen Mitarbeiter Poole sehr überzeugend.
Agnes
MÜLLER gab eine herrlich blasierte Lady Beaconsfield, deren Tod zeigte,
daß Kochheim offenbar einen Faible für schwarzen Humor hat... Uwe SALZMANN
lieferte mal wieder eine tolle Leistung als Bischof.
Oliver
HENNES als General Lord Glossop, Wolfgang MARCHETTO (Sir Archibald Proops)
und Hans-Wiitich KARSTEN (Lord Savage) ergänzten das Ensemble solide.
Ferdinand STEINHÖFEL war ein stark spielender Zuhälter Spider, während
Sascha LITTIGs (Priester) Stimme zu dünn ist.
Am
Pult der LÜNEBURGER SINFONIKER, die mit den entsprechenden Instrumenten
verstärkt wurden, machte Urs-Michael THEUS eine gute Figur. Er arbeitete
einige irre orchestrale Effekte heraus. An manchen Stellen wäre es jedoch
wünschenswert, die Lautstärke in bißchen zurückzunehmen, außerdem war
mir das Schlagzeug stellenweise zu dominant. Der HAUS- und EXTRACHOR lieferte
eine großartige Demonstration seines Könnens. WFS
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