Es
gibt 15 bis 20 Opern, die im Repertoire keines Hauses fehlen dürfen, und
wenn es kein Repertoire-Haus ist, dann müssen sie alle 10 bis 15 Jahre
gespielt werden. Das muß man schon machen, um das Haus mit den Leuten
vollzubekommen, die den Namen des Stückes kennen und somit nicht erwarten,
in ein dodekaphonisches Desaster hinein zu geraten. Eine solche Oper ist
nun mal "Carmen". Es stellt sich nun aber die Frage, ob ein kleines Theater
wie das in Lüneburg es sich leisten kann, diesen Reißer vor relativ wenigen
Zuschauern aufzuführen. In der von mir besuchten Aufführung (es war eine
der ersten nach der Premiere) waren nur gut zwei Drittel der Plätze belegt
- wohlgemerkt an einem normalen Samstag ohne Stadtfest, Länderspiel oder
30 Grad im Schatten.
Letztere
Hitze wollte sich aber bei der Regie von Jörg FALLHEIER auch nicht wirklich
einstellen. Er läßt das Geschehen auf einer Art Güterumschlagsplatz mit
einer Menge von Containern (Bühne: Barbara BLOCH) spielen. Die Zigeunerinnen
arbeiten in selbigen, bzw. halten sich dort auf. Nur was sie dort genau
tun, ist mir nicht erklärlich. Jedenfalls wird aus besagten Containern
von der Schmugglerbande allerhand Kram entwendet. Auf besagtem Platz tummeln
sich Unmengen an Security-Kräften. Ich weiß nicht, ob Fallheier ein Konzept
hatte. Wenn ja, wäre es nett gewesen, wenn er dieses auch auf die Bühne
gebracht hätte. Das einzige, was man als so etwas auslegen könnte ist,
daß Carmen am Ende selbst ins Messer läuft, um José der Macht, ihr eigenes
Leben zu beenden, zu berauben. Die letzte Szene jedoch verlor an ihrer
ganzen Intimität, da das "Volk" im Hintergrund den Stierkampf in einer
Endlosschleife auf einer Leinwand sah (das Publikum konnte davon jedoch
nur ein Drittel sehen).
Jedenfalls
ist klar, daß das Land, in dem diese Produktion spielt, definitiv Deutschland
oder das deutschsprachige Ausland sein muß, denn jeder Einwohner eines
anderen Landes (insbes. einem der südlichen Gefilde) würde sich wohl eher
beide Hände abhacken lassen, als in zwei aufeinander folgenden Takten
NUR auf der "1" mitzuklatschen... So geschehen in der ersten Szene bei
Lilas Pastia. Ich hatte wirklich Angst, daß Karl Moik oder Florian Silbereisen
noch auftreten, um das Publikum zum Mitschunkeln zu animieren. Obwohl
es ja zu Halloween irgendwie passen würde...
Die
Alltagstauglichkeit der Kostüme von Sabine MEINHARDT schwankt zwischen
den Sechzigern und heute. Escamillo sah in seinem ersten Kostüm jedoch
aus wie eine Mischung aus Zorro und Graf Dracula.
Gespielt
wurde die Dialog-Fassung in deutscher Sprache. Das Programmheft verschweigt,
wer für diese verantwortlich zeichnet oder versteckt es vor meinen Augen
äußerst geschickt. Sie war nah am Text und störte insgesamt nicht allzu
sehr, und mehr kann man von einer Übersetzung nicht erwarten... Immerhin
kam sie ohne das mich traumatisiert habende "Ich stehe hier von Blut gerötet!
Carmen - Ich habe sie getötet!!!" aus!
Barbara
SCHMIDT-GADEN ist sicher keine schlechte Sängerin, aber ihr fehlt doch
einfach das Feuer, sowohl in der Stimme, als auch in der Darstellung,
so daß ich mich eigentlich mehr gelangweilt habe. Zwar kann sie sich gut
bewegen, und auch stimmlich ist sie der Partie gewachsen, aber gerade
für diese Rolle bedarf es nun mal einer sehr charakteristischen Ausdrucksweise,
für die man einfach geboren sein muß. Insofern war sie eine ziemliche
Fehlbesetzung.
Karl
SCHNEIDER sang einen sehr emphatischen und hingebungsvollen José (mit
dem anerkennenswerten Bemühen um ein Piano auf dem hohen b in der Blumenarie),
der mit einer besseren Partnerin sicher noch mehr hätte herausholen können.
Seine stärkste Leistung hatte er entsprechend im Duett mit dem Escamillo
von Ulrich KRATZ. Beide lieferten sich ein Duell par excellence. Letzterer
konnte allerdings nicht verhehlen, daß auch ihm die Rolle des Stierkämpfers
nicht in die Kehle geschrieben wurde. Die Tiefe in seiner Arie kam nur
sehr rudimentär. Dennoch brachte er auch in dieses Stück mittels intelligenter
Differenzierung eine sehr eigene und hoch interessante Note mit ein.
Die
Micaela von Zdena FURMANCOKOVA zeichnete sich im Duett mit José v.a. dadurch
aus, daß sie alle vier Sekunden ins Publikum schaute. Ansonsten lieferte
sie eine solide Leistung ab, die nicht ganz so trutschig wirkte, wie es
ihre ernsten Rollen sonst so an sich haben.
Die
Frasquita von Jisyong KWON konnte sich durchaus hören lassen, wohingegen
Katharina von BÜLOWs Mercedes nicht weiter auffiel, was für die Zweitbesetzung
der Carmen vielleicht keine allzu gute Voraussetzung ist... Ferdinand
STEINHÖFEL und der angesagte Uwe SALZMANN als Remendado und Dancairo (lt.
Programmheft "Doncairo") profilierten sich als spiel- und sangesfreudige
Knallchargen. Wlodzimierz WROBEL machte als Morales eine ausgezeichnete
Figur. Kyung Sik WOO brauchte eigentlich keine 3 Schüsse abzugeben, um
nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen.
Das
Haus-BALLETT (die solide Choreographie stammte von Ingrid BURMEISTER)
tanzte sicher und souverän auf dem teils sehr beengtem Terrain.
Der
normalerweise von mir sehr geschätzte Urs-Michael THEUS schaffte es nach
der schon mißratenen "Cenerentola" in der vergangenen Saison erneut nicht,
südländisches Flair bei den LÜNEBURGER SINFONIKERN aufkommen zu lassen.
Es klang alles viel zu "deutsch". Hier wurde nichts ausmusiziert und insgesamt
viel zu schnell gespielt. Der HAUS-, KINDER- und EXTRA-CHOR (Deborah COOMBE)
meisterte seinen Part sehr gut. WFS
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