Sehr
gespannt war ich auf die Regie von Florian-Malte LEIBRECHT, dessen Zwerchfell
zerreißende "Viva la Mamma" vor ein paar Jahren mir nachhaltig positiv
als ein Highlight in Erinnerung geblieben ist. Die ersten zweieinhalb
Akte (der 2. und 3. Akt wurden hier zu einem zusammengefaßt) boten durch
und durch solides Handwerk im besten Sinne des Wortes, nichts Spektakuläres,
aber immerhin passierte etwas auf der Bühne, was auch an den beiden spielfreudigen
männlichen Protagonisten lag.
Dann
jedoch kam das Kirchenbild des 3. Aktes. Hier kreierte Leibrecht eine
an Spannung kaum zu überbietende, schaurige Atmosphäre, auch bedingt durch
die drei schwarzen Nonnen. Mephistopheles tritt nicht als Teufel in Erscheinung,
sondern als die komplette Szene beherrschender Priester in höllenrotem
Ornat. Mittels tontechnischer Effekte (Ja, vermutlich böse Microports,
Herr Kesting!) erklangen Margarethe und Mephisto (erstere aber nicht in
den letzten beiden Aufführungen) wie in einer Kirche.
Von
fast unerträglicher Eindringlichkeit brennt sich das Bild ins Hirn, wenn
er ihr Baby einhändig an ausgestrecktem Arm über den Orchestergraben hält.
Ähnlich verhält es sich mit dem nicht minder intensiven Schlußbild: Margarethe
liegt angekettet neben einem umgestürzten Taufbecken, aus dem Blut fließt.
Im sehr schlüssigen und packenden Finale vollendet sie nach ihrem Suizid
das Kreuz mit blutender Hand, das Valentin bei seinem Tod begonnen hatte.
Nichts für schwache Nerven!
Das
Bühnenbild von Barbara BLOCH und die Kostüme von Sabine MEINHARDT fügten
sich perfekt in das Konzept ein, abgesehen von dem häßlichen Blümchenkleid
von Margarethe.
Die
Titelrolle war mit Zdena FURMACOKOVA leider eher suboptimal besetzt. Kam
ihr ihr kindlich-naiver Charme in den ersten beiden Akten zu Gute, vermißte
man doch die beginnende Reife und auch die Überforderung im dritten und
den Wahnsinn des vierten Aktes. Rein technisch jedoch gab es nichts auszusetzen.
Das ernste Fach ist leider nicht das ihre.
Ihr
Faust war mit Karl SCHNEIDER hingegen sehr gut besetzt. Seinem dunkel-gaumigen
Tenor mit der tollen Höhe scheint die Partie hervorragend zu liegen. Interpretatorisch
gelingt ihm ein sehr differenziertes Portrait. Sowohl der "alte", als
auch der "junge" Faust kommen gleichermaßen zu ihrem Recht einer würdigen
Deutung. Erneut waren seine "Stuntkünste" gefragt, mußte er doch nach
seinem Orchestergrabensturz der erwähnten "Mamma" diesmal desöfteren Treppen
herunterstürzen oder rückwärts über schmale Tische wandeln. Dieses wie
überhaupt seine gesamte Darstellung meisterte er mit allem Anstand.
Das
Ereignis des Abends war jedoch Ulrich KRATZ als Mephistopheles, der mit
schier unbändiger Spielfreude und Spaß an dieser Rolle wieder einmal bewies,
welch kongenialer Sängerdarsteller er doch ist. Mit jeder Faser seines
Körpers und seiner Stimme war er einfach der "Leibhaftige". Eine herrlich
sarkastische und ironische Note rundete seinen über die Maßen differenzierten
Vortrag ab. Gesanglich präsentierte er sich auf höchstem Niveau. Ich kann
mich nicht entsinnen, das "Goldene Kalb" so großartig gehört zu haben.
Sein Zusammenspiel mit Schneider war großartig.
Dieses
Niveau konnte von dem Valentin von Roland FENES nicht gehalten werden.
Zwar zeigte er ein durchaus schön anzuhörendes piano. Zwischen diesem
und seinem gepreßt-knarzigen forte, welches er mit zu viel Druck bildete,
gab es allerdings keine weiteren Differenzierungsschritte. Martin EDELBAUER
(Brandner) vermochte eher als Darsteller, jedoch weniger als Sänger zu
überzeugen.
Friedrich
VON MANSBERG sang den hoffnungslos verliebten Siebel angemessen mit höchst
sympathischer Ausstrahlung. Nicole DELLABONA (Marthe Schwerdtlein) offenbarte
leichte Höhenprobleme, ergänzte aber ansonsten sehr solide.
Etwas
schockiert war ich von der Leistung des HAUSBALLETTs, das ich von der
"Mamma" in wesentlich besserer Erinnerung hatte. Hier konnte sich offenbar
keiner darauf einigen, wann genau welche Figur gemacht werden sollte.
Es wirkte auf mich einfach nur (noch nicht mal gewollt!) dilettantisch.
Die Choreographie von Kerstin KESSEL konnte mich auch nicht wirklich beeindrucken,
wenngleich es doch zwei, drei sehr schöne Hebefiguren gab.
Die
LÜNEBURGER SINFONIKER unter der Leitung von Nezih SECKIN lieferten eine
hervorragende, durch die Bank weg homogene Leistung ab. Nur selten bröckelte
es zwischen Bühne und Graben, v.a. bei dem sehr unrhythmischen Fenes.
Gerade das Kirchen- und das Schlußbild gerieten auch zu musikalischen
Höhepunkten, da wurde alles herausgeholt, was man aus einer doch sehr
reduzierten Besetzung herausholen kann. Die Leistung des CHORs (Deborah
COOMBE) schwankte in den von mir besuchten vier Aufführungen von solide
bis sehr gut.
Die
(bedauerlicherweise) letzte Vorstellung geriet zu einem Provisorium, sah
sich das Besetzungsbüro mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert
in kürzester Zeit (maximal vier Tage!), einen neuen Valentin, einen neuen
Mephisto und eine neue Margarethe aufzutreiben, die für ein C-Haus erschwinglich
sind. Zudem mußten diese die Rollen noch auf Deutsch können - es wurde
die solide Übersetzung von Walter Zimmer gespielt, die nur selten etwas
holperte ("Oh Natuhur").
So
wurden an diesem Abend Akte gekürzt, Stücke (Serenade), bzw. ganze Szenen
(Walpurgisnacht) rausgestrichen und das Quartett aus dem 2. Akt konzertant
gegeben. Glücklicherweise blieben die Schlüsselszenen erhalten, auch szenisch.
Außerdem wurden kurze Einführungen in die nächsten Szenen von Herrn v.
Mansberg (der auch Dramaturg ist) gegeben, der hier in seinen wenigen
verbliebenen Szenen gar nicht erst in sein Kostüm schlüpfte.
Ferdinand
STEINHÖFEL (Chor-Solist) war als Valentin eine Bereicherung. Er sang ihn
mit einer sehr angenehmen Stimme insgesamt sehr souverän. Das etwas fehlende
Profil ist sicher auch auf die ganze Situation zurückzuführen...Ich habe
mich ernsthaft gefragt, warum er nicht von vornherein mit dieser Aufgabe
betraut wurde.
Mit
Joachim GOLTZ wurde ein guter Ersatz als Mephisto gefunden. Zwar kam er
bei weitem nicht an Kratz' Interpretation heran. Er war eher der böse
Teufel (er küßte das Kind noch im Kirchenbild - schaurig!!!) und weniger
der intrigante Pseudofreund Fausts. Dennoch gefiel er mit seiner markanten
Stimme, die Lust auf die eine oder andere Heldenbaritonrolle machte. Man
darf gespannt sein.
Die
wohl schwerste Aufgabe bewältigte Sally STEVENSON, die laut Ansage eine
dreiviertel Stunde vor Beginn im Theater eintraf und am Ende des dritten
Aktes fast vom Vorhang halbiert worden wäre, hätte sie nicht die (auch
sonst nicht sehr zurückhaltende) Souffleuse Susanne HAPPEL darauf aufmerksam
gemacht. Stevenson war mir ab und an (Juwelen-Arie) ein bißchen zu viel
die trutschige Operetten-Diva mit leicht schrillen Höhen. Insgesamt lieferte
sie aber eine durch und durch solide Leistung ab. WFS
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