Daß
man im Norden keinen Karneval braucht, um sich am 11.11. zu amüsieren,
bewies das Theater Lüneburg. Als Musical stand in diesem Jahr "Der kleine
Horrorladen" von Alan Menken (Musik) und Howard Ashman (Text) auf dem
Spielplan. Man braucht sich nicht allzu viele Gedanken über den Stoff
zu machen und nicht so viel Adrenalin ausschütten, wie tags zuvor in "Les
Misérables" in Lübeck, sondern man kann sich einfach zurücklehnen und
sich von diesem vollkommen absurden Werk unterhalten lassen! Ohrwurmtechnisch
ergeben sich in Verbindung der beiden Musicals allerdings recht skurril-ambivalente
Stücke...
Helga
WOLFs Inszenierung macht in erster Linie Spaß. Sie bringt einfach nur
das Werk auf die Bühne und erzählt die Story, als wäre es eine Selbstverständlichkeit
und das äußerst gekonnt. Bei all der Komik blieben jedoch auch die wenigen
etwas sentimentaleren, bzw. emotionaleren Szenen nicht auf der Strecke,
so z.B. wenn Audrey ihren (etwas biederen) Wünschen Ausdruck verleiht
(Warum war ich der einzige, der bei dem Gartenzwerg gelacht hat???) oder
in den Szenen zwischen Audrey und Seymour. Auch wenn Seymour sicher nicht
der Attraktivste und Audrey nicht die Hellste zu sein scheinen, stellt
Wolf sie nicht bloß, sondern stellt sie eher liebenswert mit einer gehörigen
Portion Ironie dar.
Natürlich
sind alle Charaktere mehr oder weniger überzeichnet und keiner macht eine
Entwicklung durch (außer einer letalen), aber Wolf läßt es nur soweit
ins Lächerliche abdriften, wie es nicht peinlich-gewollt wirkt und letzten
Endes ist das Stück nun mal auch so angelegt, daß man niemanden allzu
ernst nehmen sollte. Aber immerhin gab es drei wichtige Botschaften: "Gehen
Sie immer zum Zahnarzt!", "Halten Sie sich von Drogen fern!" und v.a.
"Gehen Sie bloß nicht zu einem drogenabhängigen Zahnarzt!!!"
Das
Bühnenbild von Barbara BLOCH ist praktikabel (die rosa Gießkanne hat eine
nachhaltige Wirkung hinterlassen...) und alles in allem sehr gelungen
- Audrey II wirkt frontal fies, von der Seite süß. Die Kostüme (Sabine
MEINHARDT) boten ein Sammelsurium an allem, was die Modewelt in den letzten
20-30 Jahren so an Trends verbrochen hat, von Punks bis zu krassem "Gangsta-Look".
Bei dem Biker-Outfit von Orin hat es mich fast vom Stuhl gehauen...
Kristian
LUCAS tat das Seinige, um den Seymour nicht nur trottelig und ungeschickt
herüberkommen zu lassen. Er macht ihn einfach zu einem Sympathieträger,
dem man gerne ein wenig Mitleid schenkt. Sein Spiel und sein Gesang waren
in jeder Phase überzeugend und auf sehr hohem Niveau.
Sigrid
BRANDSTETTER gab die Audrey als Klischee-Blondine vom Dienst. Mit ihrer
blonden Dauerwelle, ihren stillosen Minikleidern (an Seymours Stelle würde
ich mich NICHT von ihr in Modefragen beraten lassen...) und dem Lispeln
schwankte sie irgendwo zwischen grenzdebiler Klischee-Friseuse und schicksalsgebeuteltem
Mädchen, dem man die brutale Beziehung abkauft. Die gewissen Szenen mit
Seymour wirkten in ihrer naiven Kindlichkeit irgendwie süß.
Als
regelrechter Szenendieb erwies sich Olaf PASCHNER als narzißtischer, eitler,
ekelerregend-abstoßender Orin, bei dessen Auftritt ich fast am Boden lag!
Wie er in seiner Biker-Kluft (nur echt mit den 52 Fransen), mit schmalzigem
Blick, zurückgegelten Haaren und Elvis-Hüftschwung über die Bühne stolzierte,
war zum Schreien komisch. Nicht zu vergessen seine hysterischen Lachausbrüche,
wenn er mal wieder eine Prise Lachgas geschnüffelt hat. In den kleineren
Rollen des zweiten Aktes konnte er ebenso voll und ganz überzeugen.
R.A.
GÜTHER war eine passende Besetzung für den eigentlich auch total unsympathischen
Mushnik, der seinem Ziehsohn erst dann ein Vater sein kann, wenn er auch
genug Geld bringt. Markus BILLEN fiel als Kunde nicht weiter auf. Bei
den drei "soul-girls" stach lediglich Victoria FLEER (Crystal) gesanglich
mit etwas scharfem und teils dünnem Ton ein wenig negativ heraus. Nina
BAUKUS und Jessica FENDLER als Chiffon und Ronette sangen besser. Zusammen
waren sie aber insgesamt sehr präsent.
Die
"mean green mother from outer space", bzw. Audrey II wurde "gespielt"
von Thomas PFEFFER und gesungen von Melvin EDMONDSON. Seine Stimme ist
vielleicht gewöhnungsbedürftig (ich komme mit ihr nicht so zurecht), trotzdem
oder gerade deshalb war er skurril und quengelig-fordernd genug und rockte
am Schluß nochmal gehörig das Haus! Es hätte nur noch gefehlt, daß er
sich ein Gewand überwirft und "Praise the Lord" schreit...
Am
Pult der "SKID ROW BAND" verbreitete Alexander EISSELE Stimmung und tat
sein Übriges für einen sehr unterhaltsamen und vergnüglichen Abend, der
musikalisch irgendwo zwischen Revue, Schauspiel und Musical lag mit leichten
Anklängen an "Cats" ("Memories") und die Titelmelodie zu "Flipper". Der
CHOR und EXTRA-CHOR des Hauses standen dem in Nichts nach. Alles in allem
war es mir ein kleines bißchen zu laut. WFS
P.S.:
Auch wenn das Theater bedauerlicherweise nicht wirklich ausverkauft war,
stellte ich mir erneut die Frage, warum sich nicht ENDLICH mal ein großes
Haus an ein Musical heran traut! Alle reden immer davon, daß man ja auch
mal moderne Werke bringen muß, aber muß es dann Henze oder Stockhausen
sein? Ich bin mir sicher, daß es auch dort gute Auslastung gäbe. Vielleicht
müßte man beim Stamm-Publikum viel Überzeugungsarbeit leisten, aber gerade
bei den Jüngeren könnte man bestimmt viele Leute ins Haus locken. Ich
denke, daß gerade erwähnte "Les Misérables" fürs erste ein guter Kompromiß
sein könnte. Frau Young, übernehmen Sie!;-)
P.P.S.:
Es wäre nicht schlecht, wenn die Web-Designer der Homepage des Theaters
auch die zweite Hälfte des Klappentextes von "Web-Design mit Web 2.0 für
Anfänger" lesen würden...
|