Ich
wette, das Theater Lüneburg übernimmt keine Haftung für die zahlreichen
Zwerchfellrisse, die es in dieser Produktion im Publikum geben dürfte.
Das Stück, erweitert um Mozarts "Ich bin die erste Sängerin" (worauf man
auch hätte verzichten können), wird größtenteils auf deutsch gespielt,
ohne daß es zu nennenswertem Verlust an Tempo oder Witz kommt. Dazu hat
Regisseur Florian-Malte LEIBRECHT eine Dialogfassung geschaffen, die im
Lüneburger Theater im Jahre 1930 spielt. Dies bietet die Möglichkeit,
zuweilen auch lüneburgspezifische Anspielungen zu machen.
Im
Bühnenbild von Barbara BLOCH, was im ersten Akt eine pseudorömische Kulisse
zeigt, die im zweiten Akt einfach gedreht wird, so daß man sich auf der
Hinterbühne befindet, geht es mit zahlreichen großen und kleinen Einfällen
temporeich zur Sache, manchmal ist es fast schwierig, alles gleichzeitig
im Blick zu behalten. Die Figuren sind durch die Bank alle wunderschön
überzeichnet mit ihren Macken. Der Regisseur zeigt Mut zum Blödsinn, meint
nicht, dem Stück mehr Tiefe geben zu müssen, als es hat, wird aber niemals
platt. Die Kostüme von Sabine MEINHARDT unterstützen das Ganze gut (woher
bekommt man nur solche Stiefeletten, wie Agata sie im ersten Akt trägt?).
Herzstück
der Inszenierung ist jedoch die Mamma Agata von Ulrich KRATZ. Hier steht
kein ausgesungenes "verdientes Ensemblemitglied" auf der Bühne, sondern
ein Bariton im Zenit seiner Fähigkeiten. Da läuft das Parlando flüssig,
die Spitzentöne werden ausgekostet, und man fragt sich permanent, was
eigentlich an Agatas Vortrag so furchtbar sein soll. Er muß nicht übertreiben,
um Komik zu erzeugen. Dazu kommt noch die Tatsache, daß der Sänger nicht
wie ein als Frau verkleideter Mann wirkt, sondern tatsächlich sich sehr
weiblich mit fließenden Bewegungen zu bewegen weiß. Man glaubt schon,
daß Agata in jüngeren Jahren mit den Juwelen, die später die Oper retten,
überschüttet wurde.
Zdena
FURMANCOKOVA singt die Primadonna Sartinecchi sicher. Zwar sind gelegentlich
einige etwas scharfe Töne in der Höhe zu vernehmen, aber im Ganzen macht
sie ihre Sache gut, und in den Zickenkriegen mit Luigia und Agata sowie
im Kampf mit dem Tenor zeigt sie mit Spielfreude ihre Krallen. Ein weiteres
Highlight der Produktion ist ihr Ehemann Stefano, gesungen von Konstantin
HEINTEL, der einen Divengatten wie aus dem Bilderbuch auf die Bühne stellt,
leicht vertrottelt, aber irgendwie liebenswert. Die Stimme ist der Rolle
jederzeit gewachsen, auch wenn sich die Figur noch so dumm anstellt.
Der
Tenor Guglielmo Cantonelli wird von Karl SCHNEIDER als eine Mischung aus
allen möglichen Tenorklischees dargestellt; man kann lustiges Tenöreraten
spielen. Dazu singt er absolut stilsicher seine Partie, besonders erwähnenswert
das italienisch gesungene Duett mit Agata, was einen dringend nach mehr
italienischen Tenor/Bariton-Duetten der Herren Schneider und Kratz verlangen
läßt. Daß Cantonelli gegen Ende des ersten Aktes in den Orchestergraben
entsorgt wird, ist ausgesprochen schade.
Ferdinand
STEINHÖFELs Komponist ist als exaltiertes Klischee eines Theaterschwulen
gezeichnet, der hyperaktiv immer und überall auftaucht im Versuch, seine
zum Scheitern verurteilte Oper zu retten. Dazu singt er auf hohem Niveau.
Ein ruhiger Pol dagegen der Librettist von Wlodzimierz WROBEL, der weniger
Möglichkeit zur Profilierung hat, diese aber nutzt.
Als
Luigia macht Nicole DELLABONA eine gute Figur, sie singt die Partei ohne
Probleme und hat ihren großen Auftritt, als sie als Götterbote versehentlich
über der Bühne hängengelassen wird. Kirsten PATT hält das insgesamt hohe
Niveau in der Rolle der Altistin Caccini, während Martin EDELBAUER als
Impresario nicht so sehr outrierte, wie man das auch von ihm schon gesehen
hat. Stimmlich zeigte er sich in etwas besserer Verfassung als zuletzt,
reichte jedoch aufgrund von Intonationsproblemen nicht an den Rest der
Besetzung heran.
Ein
absolutes Sonderlob ist auch noch dem BALLETT zu zollen, welches gleich
dazu Unsitten und Sitten des Tanzes schreiend komisch veralbert, ohne
dabei zu verhehlen, daß es sich bei ihnen durchweg um exzellente Tänzer
handelt. Ob man dies über die CHORHERREN sagen kann, muß bezweifelt werden.
Diese liefern jedoch etliche Lacher beim Exzerzieren einer Chorregie,
die alle Unarten einer solchen, gekonnt auf die Schippe nimmt.
Urs-Michael
THEUS am Pult der LÜNEBURGER SINFONIKER, die in das Geschehen durchaus
mit einbezogen werden, hält das alles zusammen, und setzt Akzente. Dabei
wird das Brio nicht vernachlässigt. Trotz der deutschen Sprache habe ich
schon größere Orchester weitaus "unitalienischer" musizieren hören. MK
|