Beethovens
von mir eigentlich ganz und gar nicht geschätzte Oper „Fidelio“ zählt
besetzungstechnisch sicher zu den schwereren, zumal für ein kleines Theater
wie das in Lüneburg. Meistens erlebte ich in der sogenannten Provinz (ein
Begriff, der für mich nicht negativ besetzt ist, sondern nach meiner Definition
ein oftmals kleines Theater beschreibt, das mit verhältnismäßig wenig
Subventionen über die Runden kommen muß) aber häufig große Überraschungen
– wie auch dieses Mal, nur daß diese nicht unbedingt positiv ausfiel...
Beginnen
wir aber mit der Regie von Claus J. FRANKL, der das Werk in der Zeit beläßt,
in der es spielt. Er schuf eine im besten Sinne des Wortes klassische
Inszenierung. Es gibt zwar keine großen Erkenntnisse in Bezug auf die
Beziehung der Personen zueinander, aber er vermeidet langweilige Passagen
gekonnt mit einer souveränen und verständlichen, aber eben nicht sonderlich
überragenden Personenführung. Das angemessene Bühnenbild realisierte Sascha
WEIG, für die passenden Kostüme zeichnete Sabine MEINHARDT verantwortlich.
Martin
EDELBAUER (Rocco) zeigte sich in stimmlich schlechterer Verfassung, als
ich ihn in Erinnerung habe. Auch darstellerisch habe ich ihn schon mal
besser erlebt, wenngleich seine Schauspielkunst seinen Gesang immer noch
weit in den Schatten stellt. Leider konnte er mit seiner zunehmend ausgesungen
und ausladend klingenden Stimme der Rolle kaum ein adäquates Profil geben.
Gegenüber
der Leonore von Tanja WINN war er jedoch gut. Die Sopranistin, die mir
schon beim Theaterfest zu Beginn der Saison außerordentlich mißfallen
hat, präsentierte einen Vortrag, wie ich ihn schlechter noch nie gehört
habe, und damit meine ich nicht die Rolle! Die Intonationsprobleme waren
gravierend und haarsträubend (wie wär’s mal mit rechtzeitigem Gesangunterricht
gewesen???), dergestalt daß sie bei jedem längeren Arbeitsergebnis (das
Wort „Ton“ verbietet sich in diesem Zusammenhang) Schwierigkeiten hatte,
es richtig anschwingen zu lassen, und wenn dann das Vibrato überhaupt
einmal kam (selten genug), wurde es zu einer Art Flackern in der Manier
eines Zitteraals. Die hohen Arbeitsresultate ließen einen zusammenzucken,
daß man sich fast alle Wirbel ausrenkte. Dazu kam eine unglaubliche Nicht-Präsenz,
sowie eine gräusliche, miserable schauspielerische Nicht-Leistung und
die Nicht-Interpretation war auch reichlich aufgesetzt und gestelzt. Wer
glaubt der bitte, daß Leonore Mut hat?
Bei
aller Wertschätzung für das Theater Lüneburg, aber so ein Fehlgriff darf
nicht passieren. Mir fallen spontan fünf Sängerinnen ein, die diese Rolle
mit Sicherheit großartig bewältigt hätten und die auch für ein kleines
Budget tragbar wären.
Glücklicherweise
stand den beiden sängerischen Ausfällen ein sehr anständiger Florestan
in Gestalt und Stimme des Ensemblemitgliedes Karl SCHNEIDER gegenüber.
Zwar kann er nicht verhehlen, daß es absolut nicht seine Rolle ist und
auch nie sein wird (er ist eher in den Belcanto-Rollen zuhause), so schafft
er es dennoch mit einer hohen musikalischen Intelligenz, die Defizite
zu kaschieren. Es gelingt ihm, ein rundum zufriedenstellendes Porträt
des Charakters, das er mit sehr schönen Piani und toller Phrasierung schmückt.
Des Weiteren kann man ihm eine Steigerung im Verlaufe des Abend attestieren.
Mit
vergleichbarer künstlerischer Intelligenz, aber insgesamt besseren Mitteln
ist der Allrounder Ulrich KRATZ ausgestattet, bei dem ich mich wahrlich
frage, in welchem Stil er nicht absolut top ist! Ich habe ihn nun bereits
in so konträren Partien wie Belcore und Tonio, Schicchi und Macbeth, sowie
als Figaro („Barbiere“), Homonkay („Zigeunerbaron“) und in der „Großherzogin“
von Offenbach erleben dürfen und überall bestach er durch seine schauspielerische
Präsenz, seine Musikalität und das Wissen darum, diese auch perfekt zu
nutzen und einzusetzen. Das war auch bei seinem überragenden Pizarro der
Fall, den er so einschüchternd böse singt, daß es einem nur so gruselt
und das auf eine unglaublich subtile, hintersinnige Art, wie ich es liebe.
Alleine wie er den Brief mit der Warnung vor dem Minister „durch die Zähne“
vorliest, läßt einen erzittern und eisige Schauer den Rücken runterjagen.
Bedauerlich war nur, daß die Partie nicht länger ist! MEHR DAVON!!!!!!
Recht
erfreulich war es auch um die Nebenrollen bestellt. So sang Friedrich
von MANSBERG einen engagierten Jaquino, der seiner Marzelline eine gehörige
Szene macht. Ich würde ihn gerne mal in einer richtig großen Rolle hören
(Mann, was könnte der für ein Ottavio sein...). Für die erkrankte Zdena
Furmancokova sprang Elena ZEHNOFF als seine Pseudo-Verlobte ein, die gegenüber
von Mansberg zwar ein wenig abfiel, aber dennoch eine überzeugende Leistung
bot und glücklicherweise nicht in das Muster eines Soubrettchens fiel.
Wlodzimierz WROBEL sang einen würdevollen, szenisch arg gealterten Don
Fernando im Rollstuhl, während Ferdinand STEINHÖFEL und Marcus PAUL die
beiden Gefangenen souverän sangen.
Mein
Respekt gilt Urs-Michael THEUS, der es wieder und wieder schaffte, die
zahlreichen Differenzen zwischen Orchester und Bühne in den Griff zu kriegen
und so einen Schmiß nach dem anderen zu vermeiden. Die LÜNEBURGER SINFONIKER
hatten keinen so guten Abend erwischt, da bröckelte es doch an so manchen
Stellen, aber wenn sie zusammen waren, klang es sehr anständig. Lediglich
bei Pizarros Arie hätte Theus sie mehr zurück nehmen können. Erneut in
glänzender Verfassung hingegen präsentierten sich der großartig disponierte
CHOR und Extra-CHOR des Hauses unter Deborah COOMBE. WFS
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