Selten
machte mich eine Aufführung so sprachlos. Im positiven Sinne, versteht
sich.
Die
Lüneburger „Macbeth“-Produktion ist ein Beispiel dafür, daß die Größe
des Hauses nicht entscheidend für sehr hohe Qualität sein muß. Sowohl
in der musikalischen Ausführung als auch in der gelungenen Inszenierung
kann sich das Theater hier mit diversen „großen Häusern“ messen.
Holger
POTOZKI gelang eine ausgefeilte und spannende Arbeit. Die Personenregie,
sämtliche Beziehungen der Figuren rund um den Mittelpunkt Macbeth wurden
überlegt und akkurat wiedergegeben. Es machte Spaß, die unterschiedlichen
Konstellationen (Macduff und die Kammerfrau waren hier ein gutes Beispiel.)
zu entdecken.
Die
Inszenierung sprühte vor Einfällen, die alle aufzuzählen, den hiesigen
Rahmen sprengen würde. Interessant waren z.B. die Deutung der Hexen als
Macbeths Unterbewußtsein (allerdings, wenn dies so ist, weshalb hört dann
auch Banquo die Hexen?) und die Tatsache, daß Lady Macbeth von der Hofgesellschaft
weit weniger respektiert wird als ihr Mann.
Das
Bühnenbild (Tom PRESTING) erwies sich aufgrund der zur Verfügung stehenden
Fläche als sehr praktikabel und wandlungsfähig. Ohne daß es karg wirkte,
kam man mit den wenigen Requisiten aus. Die Kostüme (Sabine MEINHARDT)
waren unspektakulär, aber dem Rahmen angepaßt.
Auch
Puristen sollten auf ihre Kosten kommen, so sie den „modernen Rahmen“
akzeptieren. Das Lüneburger Publikum ist dazu durchaus bereit (siehe Pausengespräche
und begeisterter Schlußapplaus).
Gesungen
wurde in deutscher Sprache, was aufgrund der geglückten Übersetzung von
Joachim Herz und Peter Wittig der Musikalität keinen Abbruch tat. Einzig
Macduffs Ausbruch ob Duncans Tod wirkte dank der Formulierung „Entsetzen!
Entsetzen! Entsetzen!” unfreiwillig komisch.
Bei
den ersten Tönen, die Ulrich KRATZ als Macbeth zu singen hatte, dachte
man zwar weniger an große Baritonpartien – Tannhäuser oder Siegfried kamen
einem eher in den Sinn – doch der Abend zeigte, daß der Sänger trotz des
Heldentenoralen, das ihm hörbar in der Kehle liegt, der Partie absolut
gewachsen ist. Es war eine exzellente Interpretation, die in der Darstellung
mit einigen neuen Aspekte gespickt war. Varianten, über die nachzudenken
es sich lohnt.
Wo
anfangen, wo aufhören, wenn man von Yvonn FÜSSEL-HARRIS als Lady Macbeth
berichtet? Die Sängerin besitzt Temperament, Ausstrahlung und jede Menge
Sexappeal. Mit einer sehr gut geführten Stimme setzte sie von Beginn an
hohe Maßstäbe, fiel den gesamten Abend von diesem Niveau nicht ab, sondern
steigerte sich in der Nachtwandelszene noch an Intensität und musikalischer
Sicherheit.
Gemeinsam
mit Ulrich Kratz konnte sie die besondere Beziehung zwischen Macbeth und
seiner Lady dem Publikum mühelos begreifbar machen. Man sah auf der Bühne
ein Verstehen ohne viele Worte, intensive Liebe und mörderische Machtgier,
ohne daß es für eine Sekunde übertrieben wirkte.
Martin
EDELBAUERs Banquo war ein wenig in Richtung latenter Brunnenvergifter
angelegt. Etwas, das der Figur gut zu Gesicht stand, denn schließlich
ist auch Banquo nicht ausschließlich positiv, sondern durchaus karrierebewußt.
Edelbauer machte viel aus seinen Szenen. Leider stand seine darstellerische
Begabung im krassen Gegensatz zur gesanglichen Leistung. Diese Stimme
war von einem über alle Lagen reichenden Vibrato durchzogen, wodurch sämtliche
Töne unschön klangen.
Die
Besetzung von Karl SCHNEIDER als Macduff war unglücklich. Gerade in der
Arie hörte man deutlich, daß die Partie - noch - jenseits seiner stimmlichen
Möglichkeiten liegt. Zu hoch war der Kraftaufwand für die Stimme, die
dadurch sehr angestrengt klang. Besser wurde da Friedrich VON MANSBERG
mit Malcolm bedient. Er sang frisch drauf los, ohne jede Angst. Hervorzuheben
ist Wlodzimierz WROBELs gesangliche Leistung als Arzt. Seine klangvolle
Baßstimme ließ aufhorchen. Zdena FURMANCOKOVA ergänzte als Kammerfrau.
Ein
musikalisches Ereignis an sich waren der HAUS- UND EXTRA-CHOR. Es zeigte
sich, daß ein Chorensemble nicht nur trotz, sondern tatsächlich mit dem
Extrachor klingen kann. Eine beeindruckende Leistung durch einen sehr
einheitlichen und ausdrucksvollen Gesang.
Die
LÜNEBURGER SINFONIKER, von diversen Gästen unterstützt, spielten sehr
engagiert. Man hörte Verdis Musik bald schallplattenreif. Die souveräne
Leitung des Abends lag in den Händen von Urs-Michael THEUS, der vielleicht
noch ein wenig über Koordination und Tempi nachdenken könnte.
Weit
ist es von Hamburg nach Lüneburg nicht.Dieser
Opernabend hat mich davon überzeugt, daß man den Weg durchaus öfter machen
sollte. AHS
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