Nach
der doch recht sehens- und hörenswerten "Großherzogin" beschloß ich, am
nächsten Abend nochmals nach Lüneburg zu fahren. Dort stand mit dem "Barbier
von Sevilla" nun eine Oper auf dem Spielplan, die eigentlich in keinem
Repertoire fehlen darf. Und was soll ich sagen? Ich habe ein Theater gefunden,
das mich sicherlich noch häufiger sehen wird. Das Auditorium bekam eine
witzige Inszenierung zu sehen und eine gute musikalische Leistung geboten.
Der
Regisseur Frederik ANNBY verlegte das Stück in einen Bühnenraum (Sascha
WEIG), der aus schwarzen, weiß-fluoreszierend-umrandeten Hauswänden besteht.
Vor der Ouvertüre schmiert jemand auf den dunklen Vorhang, dessen Maschine
ein bißchen Öl nicht schaden könnte, "Figaro war hier", was vielleicht
am Ende der Vorstellung mehr Sinn gemacht hätte. In der Bühnenmitte befindet
sich eine Treppe. Leider läßt sich Annby zu banalen Slapstick-Elementen
hinreißen, so stolpert Almaviva auf dem Weg zum Balkon seiner Geliebten
über seinen Mantel und rennt nach Ablegen desselben gegen den Pfeiler
des Balkons; Rosina stürzt beim Ruf ihres Vormunds mit lautem Gepolter
vom Fenster nach hinten über. Sowohl Figaro, den Sabine MEINHARDT in eine
Art Piratenkostüm steckte, als auch Bartolo tragen eine rote Haarpracht.
Etwas seltsam wirkt es schon, daß alle klassische Kostüme tragen und sich
in einem relativ modernen Bühnenbild bewegen. Gut gelungen ist die Szene
mit des Grafen alter Ego "Don Alonso". Annby läßt ihn nicht nur lispelnd,
sondern auch noch so erscheinen, daß Bartolo sicherlich nicht darauf kommt,
daß er etwas von seiner Rosina wollen könnte...
Karl
SCHNEIDER als Almaviva hatte wenig Probleme mit den Koloraturen und auch
mit Piani konnte er aufwarten. Nur seine etwas froschige Stimme störte.
Was mich sehr erstaunte war, daß er sogar die meistens gestrichene Arie
vor dem Finale des 2. Aktes sang (wenn auch leicht gekürzt), die durch
den peruanischen Rossini-Spezialisten Juan Diego Florez "wiederentdeckt"
wurde. Es ist die Barbier-Variante von "Non piu mesta" aus "La Cenerentola".
Bei diesem höllisch schweren Stück merkte man ganz klar, daß Schneider
an seine Grenzen stößt. So läßt er einige Verzierungen weg, aber immerhin
brauchte er sich nicht durch Aspirierungen zu helfen. Dennoch fehlte ihm
das gewisse Rossinische Etwas.
Seine
Rosina war mit Zdena FURMANCOKOVA sehr gut besetzt. Ihrem klaren Sopran
fehlt zwar die Tiefe eines Mezzos, aber dafür war ihre Höhe sehr schön.
Auch kann man ihr aus ihrer Technik keinen Strick drehen.
Ulrich
KRATZ (Figaro) verfügt über einen schöntimbrierten hohen Bariton. Er zerrte
sich während der Vorstellung das Bein und humpelte so über die Bühne,
machte daraus aber keinen Hehl und band sein Handicap sogar in die Inszenierung
ein, ganz so, als würde es in der Regieanweisung stehen. Ansonsten war
seine Leistung zufriedenstellend. Bei der Parlando-Passage seiner Auftrittskavatine
hat er leichte Probleme mit der Diktion, trotz des verlangsamten Tempos,
das ihn trotzdem nicht hinderte, gegen das Orchester zu singen.
Martin
EDELBAUER überzeugt als Bartolo lediglich da, wo er nicht singen mußte,
bzw. da, wo er kein Vibrato brauchte, denn das umfaßt schon nahezu eine
Terz. Dafür entschädigte seine Darstellung.
Bei
Thomas FRANKE bleibt der Basilio das, was die Partie (längenmäßig) auch
ist: eine Nebenrolle. Seine Verleumdungsarie läßt einen völlig kalt. In
der Tiefe muß er seine Stimme künstlich abdunkeln
Ilona
NYMOEN als Marzelline (die deutsche Version der Berta) hat die richtige
Stimme für die Rolle. Man kauft ihr die "alte Schachtel" stimmlich sofort
ab. Lukas BARANOWSKI (Fiorello) war gar nicht mal uninteressant. Wlodzmierz
WROBEL (Offizier) und Oliver HENNES (Notar) ergänzten, ohne weiter auf
zu fallen.
Der
HAUS- und EXTRACHOR unter Deborah COOMBE konnte sich durchaus hören lassen.
Vor allem gibt es bei ihnen keine nervigen Meckertenöre, die immer am
lautesten singen. Urs-Michael THEUS fand am Pult der (gelegentlich patzenden)
LÜNEBURGER SINFONIKER schöne, schnelle Tempi. Auch erwies er sich als
guter Sängerbegleiter und hielt Bühne und Orchester größtenteils zusammen.
Wolfgang Schmoller
P.S.
Eine Sache möchte ich an dieser Stelle gerne noch loswerden: Sehr geehrtes
Lüneburger Publikum, es wäre sehr nett, wenn Sie es einrichten könnten,
daß Sie ihre Termine so legen, daß Sie NICHT mitten in der Vorstellung
raus müssen. Außerdem gibt es auch Pausen, in denen man die Gespräche
führen kann. Das gilt auch, wenn gerade eine Bekannte von Ihnen singt!
Außerdem bin ich schon in der Lage, "Figaro war hier" selbst zu lesen
und brauche es nicht vorgelesen zu bekommen! Ich melde mich dann bei Ihnen,
falls das doch der Fall sein sollte.
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