Es
fällt schwer, sich nicht Hals über Kopf in diese Produktion zu verlieben.
Was Regisseur Paolo MICCICHÈ hier auf die Lübecker Bühne gezaubert hat,
ist ausgesprochen innovativ, ohne dabei den Blickwinkel auf das Stück
zu verstellen. Es findet sich das eine oder andere Zitat, ohne daß es
abgekupfert wirkt. Miccichès Bühnenbild lebt primär von Projektionen und
wirkt doch so raumfüllend wie lebendig. Selbst der Einsatz des Gazevorhangs
ist durchdacht - und so angelegt, daß man auch vom 3. Rang einen guten
Blick auf das Bühnengeschehen hat.
Die
von Beate TAMCHINA kreierten Kostüme sind zeit-/stückangemessen gewählt
und angenehm detailverliebt. Kurzum, ein Lehrstück wie Musiktheaterregie
modern funktionieren kann, ohne gewaltsam ein Konzept überzustülpen. Definitiv
eine Produktion, in die man bedenkenlos auch Opernanfänger mitnehmen kann.
Roman
BROGLI-SACHER am Pult war an diesem Premierenabend ein lautstärkentechnisches
Vabanquespiel. Schlußendlich hörte man aber blitzsauber und motiviert
gespielten Puccini vom gut disponierten Lübecker ORCHESTER - und meistens
auch die Sänger.
Gabriele
MANGIONE wußte als Rodolfo bei seinem Lübeck-Debüt durchaus zu beeindrucken.
Er war höhensicher, wußte zu phrasieren und konnte sich auch darstellerisch
wunderbar unter den anderen Bohèmiens behaupten. Das Timbre ist vielleicht
etwas neutral, aber dies ist nur ein minimaler Einwand.
Besser
aber noch gelang der Einstand seiner Partnerin. Ab dem ersten von ihr
gesungenen Ton war man als Zuhörer gebannt und begeistert. Zudem lieh
Anna PATALONG Mimi nicht allein ihre ausgesprochen schöne und warmklingende
Stimme, sondern formte auch einen Charakter, der real und nachvollziehbar
wirkte. Das so gezeigte Selbstbewußtsein steht der Figur ausgesprochen
gut zu Gesicht.
Ein
rollenkonformes Naturereignis war Evmorfia METAXAKI. Musettas Temperament
und Koketterie wurden von ihr tadellos auf den Punkt gebracht, doch es
war im letzten Akt der Kontrast zu diesem flatterhaften Wesen, der am
meisten beeindruckte. Ihre niemals süßlich oder beliebig klingende Stimme
paßte hervorragend zu dieser facettenreichen Darstellung.
Gerard
QUINN erhielt als Marcello die Gelegenheit, sein Talent für Komik (endlich)
wieder einmal unter Beweis zu stellen. Ein Begabung, die in den letzten
Jahren vielleicht etwas zu kurz gekommen ist. Die tragischen Momente werden
natürlich ebenso ausgekostet, gerade im dritten Akt bekommt die Rolle
mehr Tiefe, als man dies gewohnt ist.
Taras
KONOSHCHENKO als Colline trat laut Ansage mit einer Kehlkopfentzündung
(!) auf, von der man allerdings kaum etwas hörte. Die meisten Bässe wären
froh, in gesundem Zustand derart voluminös zu klingen, ohne die Gesangslinie
verlassen zu müssen. Schaunard wäre mit Steffen KUBACH in anderen Produktionen
vermutlich überbesetzt gewesen. Da jedoch auch die anderen drei Herren
über entsprechend große Stimmen verfügten, paßte die seine perfekt.
Daß
er darstellerisch präsent ist, versteht sich bei ihm schon von selbst.
In den kleineren Rollen hielten Mark McCONNELL (Parpignol), Seokhoon MOON
(Benoit) und besonders Johan Hyunbong CHOI (Alcindoro) das hohe Niveau.
Und wie schön, auch Ivan LOVRIC (Sergeant/Zöllner) wieder einmal zu hören.
Der
CHOR unter Joseph FEIGL war wieder stimmstark und tadellos und bot im
zweiten Akt zudem durch eine Vielzahl von einzelnen Figuren eine auffallend
gute darstellerische Leistung.
Daumen
hoch für diese Puccini-Produktion. Nach dem "Tannhäuser" ist sie eine
echte Erholung für Augen und Seele. MK & AHS
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