Der
(verdammt) lange Weg nach Rom
Nein,
wir hatten gar nicht erwartet, daß diese Produktion, mit der das Theater
Lübeck seine Spielzeit 2014/2015 eröffnet, den Kieler "Tannhäuser" szenisch
übertrifft. Es hätte uns schon genügt, wenn sie in etwa an jene herangereicht
hätte.
Verdient
wäre es gewesen, denn die musikalische Umsetzung war überaus gelungen.GMD
Ryusuke NUMAJIRI und die LÜBECKER PHILHARMONIKER hatten einen unglaublich
guten Abend. Endlich harmonisierten die rein orchestralen Momente und
die Sängerbegleitung in Qualität und Lautstärke. Die Bläser waren perfekt
disponiert, und ganz generell hatte man den Abend über das Gefühl, allein
im Orchesterklang ertrinken zu können.
Doch
auch die Sänger trugen ihren Teil zur musikalischen Perfektion bei. Carla
FILIPCIC HOLM hatte erneut eine Rolle namens Elisabeth, und wiederum mußte
sie sich mit einer für sie wenig kleidsamen Kostümierung und Maske herumschlagen;
sie mußte Angela Merkel darstellen, was ihr immerhin überzeugend gelang.
Es wäre schön, wenn man diese Sängerin auch einmal hören könnte, ohne
daß sie durch derartige Regieideen behindert wird. Die Stimme scheint
seit der "Don Carlos"-Elisabeth noch einmal gewachsen sein, in der vor
dem Vorhang gesungenen Hallenarie drohte sie das Haus fast zu sprengen.
Sie bewies jedoch auch Sinn für die leiseren Töne, beeindruckte durch
gute Legatokultur, Modulationsfähigkeit und Präsenz.
Gerade
die Damen zeigten sichals großes Plus des Abends, denn auch die Venus
war ein Hörgenuß par excellence. Julia FAYLENBOGEN verlieh der Figur neben
dem notwendigen Sexappeal (auch in der Stimme) viel Energie und Temperament.
Lange war in dieser Partie live niemand mehr zu hören, der diese nicht
nur mühelos stimmlich bewältigt, sondern dabei auch so unglaublich lebendig
wirkt.
Herbert
LIPPERT hingegen enttäuschte als Tannhäuser. Zwar hatte er letzten Endes
mehr stimmliche Kraft für die Rom-Erzählung als man zu Beginn vermutet
hätte und hier auch den einen oder anderen brauchbaren stimmlichen Moment,
doch die Szene im Venusberg litt unter seinen hörbaren stimmlichen Mankos
und einigen deutlich vernehmbaren rhythmischen Ungenauigkeiten. Die "Erbarm
dich mein"-Rufe am Ende des zweiten Aktes hat vermutlich kein göttliches
Wesen gehört. Sie gingen einfach im musikalischen Drumherum unter.
Die
Herren der Wartburg-Gesellschaft waren vom Regisseur allesamt als deutsche
Bundespolitiker angelegt. Beim Landgrafen von Thüringen konnte man allerdings
nur vermuten, daß der aktuelle Bundespräsident gemeint sein könnte. Wie
auch immer, Shavleg ARMASI sang die Rolle mit gut durchgebildetem Baß
und angemessener Autorität, der auch nicht abträglich ist, wenn er im
zweiten Akt in seiner Szene mit Elisabeth noch schnell ein Rednerpult
anliefern darf.
Gerard
QUINNs Wolfram von Eschenbach wurde durch seine Verbannung in einen Rollstuhl
darstellerisch stark eingeschränkt, wobei er es ihm dennoch gelang, entsprechende
Akzente zu setzen und unangefochten über die szenischen Zumutungen hinwegzusingen.
Die Stimme strömt schön und sehr wortdeutlich mit großer Leidenschaft.
Man wünscht sich allerdings, daß der Bariton einmal die Gelegenheit haben
wird, diese Rolle auch in einer dem Singen mehr zuträglichen Haltung verkörpern
zu können.
Walther
von der Vogelweide ist perfekt für Daniel JENZ; natürlich nicht wegen
der Größe der Partie, sondern weil man hier den Eindruck hatte, daß dieses
Fach ausgesprochen gut zu seiner Stimme paßt. Er klang wesentlich kerniger
als manch andere Walther-Besetzung, aber nicht weniger schön und bot den
besten Tenorgesang des Abends.
Taras
KONOSHCHENKO (Biterolf) wurde als Frank Walter Steinmeier kostümiert,
wovon er sich jedoch nicht beeinträchtigen ließ. Er sang die Rolle sehr
kompetent und mit dem notwendigen Verve, was wie bei Wolfram und Walther
zuvor schon dazu führte, daß Tannhäusers Erwiderung auf seinen Beitrag
etwas schwachbrüstig blieb.
Heinrich
der Schreiber Hjongseok LEE blieb unauffällig, erfüllte seine Rolle jedoch
gut. Daß er und nicht Biterolf als Sigmar Gabriel zurechtgemacht war,
war wenig überzeugend. Tim STOLTE war als Reinmar von Zweter der mit Abstand
beste Westerwelle-Darsteller seit Christian Gygas in "Angela singt - eine
Nationaloper" und für seine kleine Rolle sehr präsent.
Andrea
STADEL sang den Hirten überraschend sauber und schönstimmig. Ihr zur Seite
ergänzten Imke LOOFT, Frauke BECKER und Annette HÖRLE als Edelknaben musikalisch
ebenso gut. Auf die von der Regie eingeschobene Moderation des Abends
von edelknabiger Seite hätte man gut verzichten können.
CHOR
und EXTRACHOR DES THEATER LÜBECK unter der Leitung von Joseph FEIGL (der
leider am Ende versehentlich einen Teil des Ärgers über die Inszenierung
abbekam; merke: nicht jeder Anzugträger beim Vorhang ist der Regisseur)
waren engagiert und stimmstark bei der Sache. Die positive Entwicklung
der vergangenen Jahre geht noch immer weiter.
Weshalb
Florian LUTZ seine "Tannhäuser"-Inszenierung in die Bundespolitik versetzt
hat, wird am Ende mittels Aufschriften auf den geschlossenen Vorhang projiziert.
Einmal davon abgesehen, daß es teilweise nicht wirklich gut lesbar ist,
bleibt der Regisseur die Antwort darauf, weshalb er dafür ausgerechnet
die Wagneroper ausgewählt hat, den gesamten Abend schuldig. Den erhofften
Denkanstoß zu erreichen, wird so ein wenig schwierig.
Es
war ein Abend des "Warum?" und der "Ach, nö!". Offen blieb zudem die Frage,
wer zwischen all den Bundespolitikern denn Tannhäuser selbst sein sollte.
Bewußt offengelassen, wurde das sicherlich nicht.
Besonders
störend, weil am Anfang viel zu lang und beim zweiten Auftritt auch noch
die Musik unterbrechend, war die eingefügte Moderation des Abends im Stil
einer ganz schlechten Fernsehshow. Wenn eine solche Erläuterung der Oper
gewünscht ist, entscheidet man sich bewußt für einen Einführungsvortrag
oder liest ein schlaues Buch zum Thema. Die eigene Sicht des Stücks ist
vielleicht eine andere, und wenn es dem Regisseur über die doch recht
lange Dauer des Abends nicht gelingt, seine Sicht erläuterungsfrei zu
vermitteln, läuft irgendetwas falsch.
Wolfram
als Schäuble den gesamten Abend im Rollstuhl herumfahren und im dritten
Akt einen Mercedes-Stern ansingen zu lassen, gehörte definitiv in die
"Ach, nö!"-Kategorie. Letzteres sorgte jedenfalls für Lacher im Publikum
an der unpassendsten Stelle. Generell wurde die Beziehung zwischen Elisabeth
und Wolfram bis auf ganz wenige Momente komplett vernachlässigt.
Und
weshalb wurde Walther von der Vogelweide als Hans-Christian Ströbele gezeigt?
Steht beides für die Natur, das reine wahre Leben oder (aus Sicht des
Regisseurs) für eine inzwischen zu legere Haltung der Grünen? Oder lag
es einfach daran, daß Daniel Jenz am besten Fahrradfahren konnte und ihm
der rote Schal so super stand?
Daß
sich der Regisseur am Ende auch noch um den Schluß drückt, den Vorhang
einfach fallen läßt und Tannhäuser davor einen Joint rauchend plaziert,
während über ihm Fragen zum Leben, dem Universum und dem ganzen Rest erscheinen,
paßt ins Bild der vergebenen Chancen dieser Inszenierung.
In
dem Bühnenbild von Christoph ERNST hätte man so ziemlich alles spielen
können. Der Zuschauerraum des Theaters wird auf der Bühne fortgesetzt.
Im Venusberg werden noch ein paar bewegliche Bühnen hereingefahren, auf
denen Sünden stattfinden (wobei diese eher sündhaft fade dargestellt werden.
Die
Kostüme von Mechthild FEUERSTEIN (Kostümassistenz Ilona HOLDORF-SCHIMANKE)
passen immerhin ins Konzept, so daß man schnell erkennen kann, welcher
Politiker gemeint sein mag (Ausnahme: Landgraf Hermann).
Die
Videoinstallationen von Katharina SPUIDA-JABBOUTI sind viel zu harmlos,
vor allem, wenn sie im ersten Akt von der Darstellung von Sünden (wobei
Wollust sich offenbar darauf beschränkt, halbnackte Frauenhintern anzusehen)
in deren Folgen kippt. Sollte hier ein Schockeffekt beabsichtigt gewesen
sein, fand er nicht statt.
Es
ist bequem die lautstarke, recht einhellige Ablehnung der Produktion durch
das Publikum auf den gern zitierten altmodisch-konservativen Geschmack
der ebenso häufig genannten, geheimnisumwitterten "Wagnerkenner" zu schieben.
Gerade mit Blick auf die letzten Lübecker Wagner-Produktionen und deren
Erfolg ist das natürlich Unfug.
Teile
des Opernpublikums haben ohrenscheinlich wohl keine Lust mehr auf zusammengewürfelte,
nicht konsequent über den Abend gebrachte Ideen, von denen man den Eindruck
hat, sie sind nur dem strikten Modernisierungswunsch des Regisseurs folgend
im Skizzenbuch gelandet. Neues? Gern doch. Unserethalben gern auch als
"Tannhäuser" in der Bundespolitik. Nur bitte, bitte, sollte sich das in
Musik und Text auch wiederfinden lassen, stringent zu Ende geführt werden
und sich an ein mündiges Publikum wenden.
All
das ist so schade, weil vielleicht doch so Einige, den Gang in diesen
"Tannhäuser" meiden werden und damit die musikalisch wie sängerisch so
grandiose Interpretation verpassen werden.
Wenn
wir uns etwas wünschen dürften, hätten wir Wagner in Lübeck szenisch gern
weiter in einer gesunden italienisch-irischen Mischung oder auch endlich
wieder einmal mit vielen godenschen Wolken. Dankeschön! MK & AHS
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