Sicherlich
gibt es irgendwo kluge Aufsätze darüber, weshalb die Opernliteratur aus
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts selbst heutzutage aufführungstechnisch
so stiefmütterlich behandelt wird. Streckenweise ist es natürlich nicht
das, was man im Englischen "easy listening" nennt, aber gerade zu Beginn
des vergangenen Jahrhunderts ist teilweise so wundervolle Musik entstanden,
die dringend einer höheren Aufführungsrate bedürfte.
Alexander
Zemlinskys Opern gehören hier unbedingt dazu. Gut, es ist keine Musik
für Strauss-Phobiker - und doch sind Zemlinskys Klänge in ihrem Farbenreichtum,
ihrer Melodik, der machtvollen Fülle und vor allem in ihrem Variantenreichtum
ungleich schöner.
Das
Theater Lübeck hat Mut bewiesen und nach Korngold und Krenek nun "Der
Zwerg" und "Eine florentinische Tragödie" auf die Bühne gebracht. Die
Stücke sind bis auf drei Partien aus dem hauseigenen Ensemble besetzt,
was dem Ganzen einen zusätzlichen Reiz verlieh.
Aufgrund
einer Erkrankung des eigentlichen Hauptdarstellers im "Zwerg" übernahm
Erik FENTON die gesangliche Gestaltung der Titelpartie. An einem Pult
stehend, verlieh er dem Zwerg derart eindrucksvoll eine Stimme, daß man
den Blick gar nicht von der Bühnenseite wenden mochte. Klangvoll heldentenoral,
ohne zu übertreiben, bewies auch er, was für ein perfektes Klima der Mittelwesten
für dieses Stimmfach ist. Fulvio OBERTO geriet so ein wenig ins Hintertreffen,
konnte aber mit einer fulminant gespielten Schlußszene das Publikum doch
noch in seinen Band ziehen.
Einen
zwiespältigen Eindruck hinterließ Noa DANON als Donna Clara. Im Spiel
sehr dicht an der verwöhnten, launischen Infantin, klingt stimmlich einiges
gerade in den höheren Lagen doch eher schrill. Wesentlich mehr konnte
Evmorfia METAXAKI als Ghita überzeugen. Ihre Stimme klingt in allen Lagen
ausgewogen und die emotionale Reife, die sie der Figur verlieh, berührte
zutiefst.
Taras
KONOSHCHENKO ist ein echter Gewinn für das Lübecker Theater. Agil in Stimme
wie Spiel und trotzdem würdevoll verlieh er Don Estoban eine natürlich
wirkende Autorität, ohne die in die Figur hineingeschriebene Ironie außer
Acht zu lassen.
Frauke
BECKER, Steinunn Soffia SKJENSTAD und Annette HÖRLE rundeten das positive
Bild als quicklebendige Zofen ab.
Gibt
es etwas, was der CHOR des Lübecker Theaters nicht kann? Diesmal waren
die Damen unter der Leitung von Joseph FEIGL zwar allein unterwegs. Der
Stimmfülle und -schönheit tat dies allerdings keinen Abbruch.
Zemlinskys
"Florentinische Tragödie" ist beinahe ein Monolog für Bariton. Sopran
und Tenor fungieren eher als Stichwortgeber, während der Zuhörer, die
sich anbahnende Tragödie aus Simones Sicht erlebt.
Glücklich
das Theater, das hier einen Sänger besetzen kann, der eine solche Herausforderung
scheinbar mühelos trägt und weder stimmlich, noch darstellerisch oder
konditionell Schwäche zeigt. Gerard QUINN setzte als Simone neue Maßstäbe
und zeigte, daß es für ihn noch viel Spielraum jenseits des italienischen
Fachs gibt.
Schön
herausgearbeitet hat der Bariton zudem jene nonverbale Ebene, auf der
Simone dem Prinzen erst eher zurückhaltend, später umso eindringlicher
zu verstehen gibt, doch bitte die Finger von seiner Frau zu lassen. Hier
zeigt sich der Unterschied, den ein tatsächlicher Sängerdarsteller ausmachen
kann, der neben großartiger musikalischer Interpretation das Publikum
eben auch mit seiner individuellen Interpretation der Figur in den Bann
zieht.
So
war es selbst für Wioletta HEBROWSKA nicht einfach sich hier ihren Platz
zu erobern, insbesondere da Bianca oberflächlich nur als Trophäe der beiden
Herren angelegt ist. Natürlich konnte sie sich trotzdem behaupten und
die wenigen Momente, in denen die Figur zur Zuspitzung der Handlung beiträgt,
optimal nutzen. So böse hat man die Sängerin m.E. noch nicht gesehen.
Wolfgang
SCHWANINGER blieb als Guido Bardi dann doch auf der Strecke. Sein prinzliches
Gebarden wirkte ebenso wie die Leidenschaft für Bianca zu gekünstelt,
zu unecht. Weder im Gesang, noch im Spiel fand sich echte Noblesse.
Sehr
zwiespältig war auch der Eindruck den Ryusuke NUMAJIRI am Pult hinterließ.
Es war an diesem Abend in puncto Kommunikation Graben-Bühne sicherlich
schon besser als in den Verdi-Vorstellungen, aber man wird den Eindruck
nicht los, daß der aktuelle Lübecker GMD eher für sinfonische Aufführungen
denn für Opern geeignet ist. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER klang über
weite Strecken grandios, war aber häufig viel zu laut, was gar nicht Not
tat, ist Zemlinskys Musik doch eigentlich eindringlich genug.
Die
Produktion an sich begeisterte durchweg. Regisseur Bernd Reiner KRIEGER
setzt beide Stücke in den Kontext der Beziehung des Komponisten zu Alma
Schindler (die spätere Alma Mahler-Werfel). Und so sind sowohl der Zwerg,
als auch Simone Abbilder des Komponisten, deren schlechte Erfahrungen
mit den Frauen - Zemlinskys Frauenbilder war irgendwie auch nicht besser
als das des bereits erwähnten Richard Strauss - so unterschiedlich ausgehen.
Die Produktion spielt gekonnt mit Blickwinkeln und Sichtweisen, ist in
jedem Moment konform mit Musik und Text, ohne altbacken oder vorgestrig
zu wirken.
Unterstützt
wird diese Interpretation vom gelungenen Bühnenbild (Roy SPAHN), das in
beiden Stücken eigentlich das gleiche ist, und durch die kongeniale Lichtregie
(Falk HAMPEL) und einige wenige Requisiten doch zwei komplett unterschiedliche
Schauplätze darstellt.
Die
Kostüme von Roy SPAHN waren im "Zwerg" an Farbenpracht kaum zu übertreffen.
Trotzdem wirkte es nie überkandidelt, sondern gab dem eigentlich recht
dunkel wirkenden Raum den bunten Anstrich des lebendigen Hofstaates. In
der "Florentinischen Tragödie" mutete allein die Jacke des prinzlichen
Kostüms ein wenig merkwürdig.
Es
steht zu hoffen, daß man sich in Lübeck weiterhin dieser Musik annimmt
und auch entsprechende Erfolge erzielt. Zemlinsky und seine Kollegen hätten
es schlichtweg verdient. AHS
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