Nein,
Barockopern sind zugegebenermaßen nicht meins. Allerdings ist die Geschichte
der Zauberin Armida (bzw. in Christoph Willibald Glucks französischer
Interpretation Armide) nicht unspannend und wurde zudem über die Zeiten
musikalisch in recht unterschiedlicher Form interpretiert. Die Besetzung
(fast) ausschließlich aus dem hauseigenen Ensemble las sich interessant.
Mit dem Namen des Regisseurs verband sich keine negative Erinnerung… Also,
weshalb nicht doch einmal wieder eine Barockoper?
Daß
der Abend über weite Strecken spannend war, ist ganz besonders dem Dirigat
zu verdanken. Jan-Michael KRÜGER fand die richtigen Tempi und Nuancen.
Für das ungeübte Ohr klang Glucks Musik hier tatsächlich eher nach französischer
Oper mit Barockeinfluß. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER hatte einen ausgesprochen
guten Tag und spielte sauber sowie mit dem nötigen Elan.
Von
den Künstlern auf der Bühne ist zuallererst Wioletta HEBROWSKA zu nennen,
die als Hass mit einem großartigen Auftritt überzeugte. Stimmlich jede
Sekunde sicher und mit viel Lebhaftigkeit, war es auch ihre Bühnenpräsenz,
die in ihrer einzigen Szene sofort überzeugte. Die Allmacht der Figur
ließ alles andere drum herum schlagartig verblassen.
Als
einziger Gast des Abends fügte sich Sabina MARTIN problemlos in das sie
umgebende Ensemble. Ihre Armide besaß stimmliche Eindringlichkeit und
Präsenz. Der Sängerin gelang es gut, beide Seiten der Figur glaubwürdig
zu präsentieren. Eine insgesamt ausgesprochen hörenswerte Interpretation.
Dem
anfangs gegen Armides Künste so standhaften Renaud gab Daniel JENZ einen
ausgesprochen glaubhaften Anstrich. Nichts wirkte überzogen. Engagiert
und sauber sang der Tenor die Partie ohne sich in Geziertheit zu verlieren.
In Gerard QUINNs Händen erhielt Hiradot die notwendige düstere Aura, ohne
unsympathisch zu wirken. Die Stimme des Baritons besitzt die notwendige
Flexibilität und Zurückhaltung für dieses Fach. Die vertrauten Klangfarben
mußte man trotzdem nicht missen.
Steinunn
Soffia SKJENSTAD steigert sich mit jeder neuen Produktion, und so klang
Phénice an diesem Abend wirklich stimmschön. Ihr zur Seite bewies Evmorfia
METAXAKI als Sidonie, was für ein gelungener Coup ihr Engagement ins Lübecker
Ensemble gewesen ist.
Steffen
KUBACH als Ubalde und Jonghoon YOU als Der Dänische Ritter brachten nach
der Pause viel Lebendigkeit in die sonst von Glückseligkeit beherrschte
Szenerie. Beide lösten ihre musikalischen wie szenischen Aufgaben gut.
Kong Seok CHOI beeindruckte in seinem kurzen Auftritt als Aronte. Mark
McCONNELL sang einen schönstimmigen Artémidore. Frauke BECKER (Schäferin),
Leonor AMARAL (Dämon) und Annette HÖRLE (Lustgeist) präsentierten das
Opernelitestudio von seiner allerbesten Seite.
CHOR
und EXTRACHOR zu loben, ist eigentlich zu wenig. Unter der Leitung von
Joseph FEIGL haben die Damen und Herren gerade auch in dieser Spielzeit
sehr unterschiedliche Herausforderungen so ausgesprochen gut bewältigt,
daß das homogene Klangbild an diesem Abend kaum überraschte.
Michael
WALLNERs Inszenierung gehört zu den besseren, die in der letzten Zeit
auf norddeutschen Bühnen zu sehen waren. Zwar hätte man in der futurisch-abstrakten
Kulisse (Bühnenbild: Heinz HAUSER) auch problemlos ‚u' von Eef van Breen
spielen können, aber es ist dem Produktionsteam zugutezuhalten, daß tatsächlich
alle Ebenen der raumgreifenden, drehbaren Spirale auch bespielt werden.
Zusammen mit den gut gesetzten Lichteffekten (Falk HAMPEL) entstanden
immer wieder neue Räume, die zur jeweiligen Szene paßten. Genau so funktioniert
dann auch ein Einheitsbühnenbild.
In
einigen Fällen wirkten die Kostüme (Tanja LIEBERMANN) ein wenig willkürlich,
und ob die teilweise übermäßig geschminkten Lippen von Armides Gefährtinnen
oder ihre bikiniähnlichen Oberteile tatsächlich verführerisch waren, mag
ein Mann beurteilen. Sinn macht sicherlich Renauds Gewand, das man als
äußeres Zeichen seiner Unentschlossenheit deuten kann. Das für den Hass
gewählte Outfit unterstrich den fulminanten Auftritt der Sängerin.
In
der Personenführung hätte es - insbesondere zwischen Armide und Renaud
- gern noch ein wenig leidenschaftlicher sein können, und gerade im ersten
Teil gab es m.E. dann doch etwas viel Rampensingen (eventuell als Reminiszenz
an das Barocktheater?). Für das Verstehen der raumgreifenden Gesten der
Damen sowie die leicht absurde Galoppimitation im letzten Teil fehlt mir
vielleicht einfach der Sinn. Diese Choreographien wirkten irgendwie merkwürdig.
Wesentlich
ist jedoch, daß Michael Wallner auf seine Weise stringent die vorgegebene
Geschichte erzählt und sich - ausgesprochen angenehm - nicht in wahllosen
Deutungsversuchen verzettelt.
Insgesamt
ist dies eine gute Produktion insbesondere auch als Einstieg in diese
Form der Oper. Das Stück ist nicht zu lang, die Inszenierung weder überkandidelt,
noch verkopft. Ein klares "kann man sich ansehen" also. AHS
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