Der
Abend begann ein wenig verwirrend. Nachdem auf der Website des Theaters
Lübeck für diese eine Vorstellung erst ein Name als Tristan genannt wurde
und dann irgendwann ein anderer, gab es am Abend selbst die Absage für
den wohl kurzfristig erkrankten Jeffrey Dowd, der zuvor für diese Vorstellung
gar nicht als Besetzung online aufgetaucht war. Wie auch immer, Peter
Svensson war der Tristan des Abends, und machte das über weite Strecke
gar nicht mal schlecht.
Spannender
als die Besetzungsfrage war jedoch, wie sich der Regisseur dieser Wagneroper
nähern würde. Es überraschte sicherlich wenig, daß Anthony PILAVACHI die
Liebesgeschichte aus der eigentlich märchenhaften Einordnung herausnimmt
und fast 1:1 in die Realität der Entstehungszeit verpflanzt. Wie funktioniert
die Geschichte einer grenzenlosen Liebe im bürgerlichen Alltag jener Zeit?
Sind die dort zu brechenden Konventionen, den ursprünglich im Werk zugrundeliegenden
nicht ganz ähnlich? Ist es das, was der Komponist dem Zuhörer damit schlußendlich
sagen wollte?
Der
Abend wurde ein Lehrstück darüber, wie man eine Oper gekonnt in einem
neuen Kontext, aus einem komplett anderen Blickwinkel zeigen kann, ohne
das Stück selbst zu zerstören. Pilavachi wandelt die Beziehung Prinzessin
zu ihrem Helden in die Beziehung des Künstlers zu seiner geliebten Muse.
Orientiert hat er dabei wohl an dem Verhältnis Wagner-Wesendonck, was
in der Intension sicherlich nicht neu ist, aber hier so überzeugend und
stückkonform auf die Bühne gebracht wird, daß man diesem Weg gerne folgt.
Daß jede Figur ihre eigene Geschichte, ihre ganz individuelle Charakterisierung
erhielt, versteht sich von selbst.
Tatjana
IVSCHINA gab der neu interpretierten Geschichte mit den von ihr gestalteten
Bühnenbilder und den in jeder Einzelheit geschmackvollen Kostüme den passenden
Rahmen. Statt im Cornwall einer sagenumwobenen Zeit findet man sich in
den Salons des 19. Jahrhunderts, in der Welt Richard Wagners und am Ende
gar im Arbeitszimmer in Venedig wieder. Einen nicht unerheblichen Teil
zu der gelungenen Interpretation trug auch die Lichtregie von Falk HAMPEL
bei (welch' ein Unterschied zum "Carlos" am Freitag). Stets der Musik
angepaßt, wurden die unterschiedlichsten Variationen von Lichtintensität
und -farben geschickt genutzt, um die erwünschte Wirkung von Musik und
Inszenierung zu unterstreichen.
Edith
HALLER gehört stimmlich sicherlich mit zu den derzeit besten Isolden.
Die Stimme spricht in allen Lagen kraftvoll an, klingt stets gesund und
besitzt auch noch die notwendige Energie für die leisen Töne am Ende des
langen Abends. Trotzdem konnte ihre Irische Maid nicht vollends überzeugen.
Zu sehr fehlte es an schauspielerischem Temperament, an alles hinter sich
lassender Leidenschaft. So scheiterte das Konzept hier schlicht an zu
statuarischen Bewegungen und fehlender Flexibilität in der Darstellung.
Kurzfristig
eingesprungen fügte sich Peter SVENSSON überraschend problemlos in die
Produktion ein. Hier sah man die Leidenschaft und die Freude an der Darstellung
der Figur, die seiner Partnerin fehlten. Konditionell wurde es gegen Ende
des zweiten Aufzugs kurzfristig etwas heikel, nach dem der Tenor sich
zu dessen Beginn mit viel Verve in die musikalischen Wogen gestürzt hatte,
und auch ein Blick in den Text während der Pausen wäre wohl hilfreich
gewesen (Souffleuse Ursula MÜHRER hatte diesmal wahrscheinlich einen besonders
harten Job). Alles in allem wurde jedoch gerade für einen Einspringer
eine überdurchschnittlich gute und vor allem komplette Leistung geboten.
Königin
des Abends war unbestritten Wioletta HEBROWSKA. Die junge Sängerin ist
in ihrer Flexibilität und mit ihrer augenscheinlichen Freude an den unterschiedlichsten
Charakteren ein wahrer Glücksgriff für Lübeck. Auch bei ihrer Brangäne
paßte alles. Man hörte eine frische, unverbrauchte Stimme, die bereits
über genug Reife verfügt, um den Abend nicht nur konditionell durchzustehen
und eine ausgesprochen gute musikalische Leistung abzuliefern, sondern
auch um jede Phrase der jeweiligen Stimmung angepaßt gefühlvoll zu artikulieren.
In Spiel und Bühnenpräsenz lief sie ihren Kollegen locker den Rang ab.
Michael
VIER begann den Abend mit einigen Phon zuviel, bekam dies aber im Laufe
der Vorstellung in den Griff und sang im letzten Aufzug einen Kurwenal
par excellence. Das Bemühen, den Freund zu retten, das grausame Spiel
von Melot ungeschehen zu machen, und dem Paar letztendlich doch zu einem
glücklichen Beisammensein zu verhelfen, wurde ebenso berührend gezeichnet
wie die schlußendliche Verzweiflung über das Scheitern dieser Anstrengungen.
Absoluter
Tiefpunkt war die gesangliche Leistung von Martin BLASIUS als König Marke.
Keine Ahnung, weshalb man diesen Sänger nach der bereits schwachen Leistung
als Banco überhaupt noch besetzt hat. An diesem Abend saß gefühlt kein
einziger Ton richtig. Eine ausgesprochen traurige Angelegenheit.
Jonghoon
YOU überzeugte dagegen als Melot. Er sang souverän und zeigte viel Liebe
zur ausgefeilten Charakterstudie. Daß er derzeit noch/erst Mitglied des
Opernelitestudios ist, überrascht bei ihm ebenso wie bei Kong Seok CHOI,
der schönstimmig und mit viel Bühnenpräsenz den Steuermann gab. Daniel
JENZ (Hirt, junger Seemann) gab hier einen guten Einstand. Besonders sein
unaffektiert klingender Hirt überzeugte mit Spielfreude.
Die
Aufgaben des CHORs (Leitung: Joseph FEIGL) sind in dieser Wagneroper recht
überschaubar, aber auch diese kurzen Momente waren höchst professionell
gesungen.
Als
Dirigent des Abends vollbrachte Roman BROGLI-SACHER am Pult ein echtes
Wagner-Wunder. Tönte es am Anfang hier und da noch etwas zu mächtig aus
dem Graben, verlor sich das doch rasch und machte einer opulenten, klangfarbenreichen
Interpretation mit streckenweise ausgesprochen lyrisch gespielten Momenten
Platz. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER war in jeder Gruppe ausgezeichnet
disponiert und klang in seiner Gesamtheit ausgesprochen homogen. Besonders
hervorgehoben werden muß die exzellente Sololeistung von Wolfgang EICKMEYER
(Englischhorn).
Im
Januar gibt es, so die Angaben auf der Lübecker Website stimmen, einen
weiteren Tristan und auch eine andere Isolde zu entdecken. Verpassen sollte
man diese Produktion auf keinen Fall. AHS
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