Woran
es auch immer lag, daß der Zuschauerraum des Lübecker Theaters beinahe
bis auf den letzten Platz besetzt war, der Abend war dies und die Begeisterung
des anwesenden Publikums in jedem Fall wert.
Nach
der sehr gelungenen Korngold/Krenek-Kombination im vergangenen Jahr, kam
nun mit "Die tote Stadt" Korngolds wohl bekannteste Oper in Lübeck auf
die Bühne.
Regisseur
Dieter KAEGI hat hier auf die sonst in Lübeck von ihm gewohnten Mätzchen
verzichtet und zeigt mit dieser Produktion eine überraschend stringente,
stückkonforme Interpretation. Ähnlich wie bereits beim "Schlauen Füchslein"
vor einigen Jahren wird schlüssig die Geschichte des Stücks - teilweise
in ausgesprochen schönen Bildern (2. Bild; Fronleichnams Prozession) -
erzählt. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen werden ausgiebig
beleuchtet und mit viel Liebe zum Details wiedergeben.
Das
Bühnenbild ist schlicht, aber ausgesprochen wandelbar und gibt mit seinen
verschiedenen Ebenen schnellen Szenen- wie Stimmungswechseln viel Raum.
Die Kostüme (beides: Bruno SCHWENGL) passen ins Stück ebenso, wie zu den
einzelnen Figuren. Auch hier wird erfreulicherweise auf jeglichen Schnickschnack
verzichtet. Die Lichtregie von Falk HAMPEL trug viel zur stimmungsvollen
Präsentation bei.
Es
ist schwer zu entscheiden, welchen der beiden Protagonisten man für diesen
Abend als erstes nennen möchte. Ausrine STUNDYTE (Marietta/Marie) und
Richard DECKER (Paul) harmonierten auch in dieser Produktion perfekt miteinander.
Natürlich
weiß man um die großartigen Fähigkeiten von Ausrine Stundyte und doch
staunt man immer wieder neu über ihre stimmliche wie darstellerische Wandelbarkeit.
Ihre Marietta ist teilweise so zynisch, beinahe abgrundtief böse in ihrer
Verachtung für die Welt wie die Erscheinung Marie nur kurze Zeit später
in der von Paul erträumten überirdischen Güte beinahe heilig. Diesen Spagat
nicht nur in der Darstellung, sondern auch mit der Stimme so glaubhaft
zu verkörpern, ist ganz große Kunst. Doch eben nicht nur dies gelingt,
auch für das 2. Bild, wenn unbekümmerte Leichtigkeit erfordert ist, paßt
alles perfekt.
Richard
Decker litt wohl am meisten unter dem Dirigat. Der Tenor mußte sich in
seiner ohnehin mörderischen Partie immer wieder gegen die überlauten Orchesterwogen
behaupten, die ihm nur hin und wieder die Chance zu den leisen stimmlichen
Momenten gaben, die doch so ausgesprochen schön klangen. Nichtsdestotrotz
konnte sich der Sänger den gesamten Abend über stimmstark behaupten und
vergaß darüber aber nicht, seine Figur und deren charakterliche Wirrungen
anschaulich wiederzugeben. Der Schlußmoment, wenn Pauls Aufbruch in ein
Leben ohne Marie doch wieder zu scheitern scheint, war eine glaubhafte
Symbiose aus Spiel und Musik.
Steffen
KUBACH gab dem Frank anfangs (und auch zum Ende hin) einen überkorrekten,
streckenweise recht kühlen Charakter, was aber stückkonform im 2. Bild
ins komplette Gegenteil umschlug. Seine Interpretation des Pierrot-Liedes
klang schlicht, wurde aber mit viel Sinn für Korngolds Musik gesungen.
Einfach
grandios war Wioletta HEBROWSKA als Brigitta. Sie überzeugte mit ihrer
Bühnenpräsenz, mit der sie sich locker behauptete, ebenso wie mit ihrer
schönen klingenden, wieder ein Stück gewachsenen Stimme. Der Umstand,
daß sie auch in der nächsten Spielzeit im Teil des Lübecker Ensembles
sein wird, ist höchsterfreulich.
Steinunn
SKJENSTAD (Juliette), Oksana POLLANI (Lucienne) und Tomasz MYSLIWIEC (Graf
Albert) ergänzten schönstimmig und mit Spielfreude. Daniel SZEILI als
Victorin konnte gerade eben letzteres zeigen.
Der
CHOR des Theaters Lübeck (Leitung: Joseph FEIGL) hat momentan das, was
man im Allgemeinen "einen Lauf" nennt. Ob im "Parsifal", im "Macbeth",
in der "Thaïs" oder eben in dieser Produktion - der Klangkörper besteht
alle Herausforderungen meisterlich und überzeugt mit seinem ausgesprochen
harmonischen wie stimmstarken Klang. Ebenfalls gewohnt klangschön unterstützt
wurde der Chor vom Kinder- und Jugendchor VOCALINO (Leitung: Gudrun SCHRÖDER).
Der
einzige Wermutstropfen des Abends war, wie bereits erwähnt, das Dirigat
von Brian SCHEMBRI. Die Kunstform Oper hat für mich persönlich primär
mit Gesang zu tun. Wenn ich mich in erster Linie mit dem sinfonischen
Klang eines Orchesters beschäftigen möchte, ziehe ich im Allgemeinen ein
entsprechendes Konzert vor. Und ja, Korngolds Musik ist an vielen Stellen
auftrumpfend und mächtig, aber sie spricht eigentlich für sich selbst
und muß nicht extra durch überlautes Spiel des Orchesters dem Publikum
nahegebracht werden. Gerade vor der Pause war es am besuchten Abend zum
Teil überaus anstrengend, dem Gesang zu folgen, da sich die Sänger gegen
eine fast undurchdringliche Klangwand kämpften.
Zugute
halten kann dem PHILHARMONISCHEN ORCHESTER, daß es bestens disponiert
war und hörbar eben nicht nur bei den herkömmlich klassischen Opern zuhause
ist, sondern auch in diesem Repertoire in jedem Fall bestehen kann.
Mehr
Aufführungen der Opern von Korngold und seinen Zeitgenossen wäre wirklich
schön. Das Theater Lübeck hat definitiv das Zeug dazu. AHS
|