Typisch,
Mann, ist man am Ende dieser Massenet-Oper versucht zu sagen. Letztendlich
schreit das Werk förmlich nach diesem Gedanken. Athanaël, ein Mönch, macht
sich auf nach Alexandria, um die Kurtisane Thaïs von ihrem sündigen Lebenswandel
abzubringen und sie zu dem aus seiner Sicht einzig wahren Glauben zu bekehren.
Die Erkenntnis, daß er eigentlich in Thaïs verliebt ist, kommt Athanaël
erst, als sie sich im Kloster ihrem neuen Glauben hingibt und just, bevor
sie in religiöser Verzückung stirbt - kurz: zu spät.
Marc
ADAM, als Regisseur in Lübeck immer wieder gern gesehen, inszenierte die
Geschichte wie ein Kammerspiel, stark auf die beiden Protagonisten fokussiert,
und läßt alle weiteren Personen zu Randfiguren, Teil eines kommentierenden
Kollektivs werden. Bis auf die letzten beiden, inszenatorisch wirklich
starken Szenen glichen die einzelnen Bilder der Oper eher Momentaufnahmen
einer Erzählung als einer in sich geschlossenen Geschichte.
Letzteres
ist ein wenig schade, denn immer wieder schloß sich am Szenen-Ende der
Vorhang, und die verbleibenden Klänge, die zum Teil noch recht viel zu
erzählen hätten, verpuffen im Halbdunkel des Zuschauerraums. Insgesamt
gelang hier aber eine ausgemacht gute szenische Umsetzung des Werks.
Wirklich
gut gelöst ist die Frage der rasch wechselnden Handlungsorte. Roy SPAHN
hat hier ein relativ spartanisches Bühnenbild geschaffen, das mit seinen
flexiblen Elementen ohne großen Aufwand, aber immer wieder effektvoll
neu zusammenfügen läßt. Die so entstehenden Bilder haben z. T. beinahe
etwas Poetisches. Die Lichtregie (Falk HAMPEL) mutete am Premierenabend
teilweise etwas seltsam an. Streckenweise
ging einfach das Licht auf der Bühne aus und wieder an. War dies so gewollt,
oder funktionierte einfach etwas nicht?
Das
Kostüm für die geläuterte Thaïs und auch das für ihren ersten Auftritt
waren durchaus liebevoll mit Blick für Details gemacht. Die anderen Figuren
hatten da weniger Glück (Kostüme: Pierre ALBERT). Zu plakativ, zu übertrieben
wirkte die Kleidung der alexandrinischen Spaßgesellschaft. Das Hemd, das
Nicias Athanaël überläßt, wirkte gar wie einem der frühen Technicolor-Piratenfilme
entnommen (Farbe, Farbe, Farbe…). Die Choreographie von Pascale CHEVROTON
wirkte an vielen Stellen beliebig.
Die
beiden Protagonisten gelang es scheinbar spielend, die Brücke zwischen
musikalischer und szenischer Interpretation zu schlagen.
Lea-ann
DUNBAR in der Titelpartie vermochte die Zerrissenheit ihrer Figur gut
zu vermitteln. Ihr lag die leichtlebige, unbekümmerte Art der Kurtisane
ebenso wie die spätere religiöse Abgeklärtheit. Noch weit mehr als bisher
in anderen Rollen scheint diese Partie für den Sopran gemacht zu sein.
Die Sängerin zeigte hier etwas von der abgeklärten Attitüde der Diven
der Vergangenheit, was ihr auch stimmlich sehr zugute kam. Die gesangliche
Umsetzung war vom ersten Moment rund und ausgesprochen klangschön.
Ihr
zur Seite gab Gerard QUINN einen Athanaël, der anfangs so fest vom seinem
Glauben überzeugt, wie am Ende über den eigenen Irrtum verzweifelt ist.
Die im italienischen Repertoire so schön klingende Stimme des Baritons
paßt ebenso perfekt ins französische Fach. Neben der virtuosen Interpretation
im Gesang blieb auch Raum für die darstellerische Auslegung, für die kleinen
Momente und Ausbrüche, die zeigten, wie sehr Athanaël doch schon vor der
letzten Szene in Thaïs verliebt ist, ohne es selbst zu bemerken. Ein rundum
gelungenes Rollenporträt.
Ein
wenig vermißte man noch eine gewisse blinde Vertrautheit, eine intensivere
Innigkeit zwischen den beiden Akteuren, was sich aber in den kommenden
Vorstellungen sicher einstellen wird.
Gardar
Thór CORTES' Nicias mochte nicht so ganz zu den vollmundigen Versprechungen
auf der Website des Tenors passen. Immerhin wurde aber eine solide, ausbaufähige
Abendleistung geboten. Grandios waren Anne ELLERSIEK als Crobyle und Wioletta
HEBROWSKA als Myrtale, die sich nicht nur problemlos in ihre überspitzt
angelegten Rollen einfanden und diese mit Bravour spielten, sondern auch
gesanglich zu den Höhepunkten des Abends gehörten. Dieser überaus positive
Eindruck steigerte sich bei Wioletta Hebrowskas Interpretation der Äbtissin
Albine sogar noch einmal.
Von
Ginalucca BURATTO als Palémon hätte man sich ein wenig mehr stimmliche
Beständigkeit gewünscht, was da zeitweise zu hören war klang aber nach
interessantem Material. Steinunn SKJENSTAD (La Charmeuse) klang in den
Höhen leider gar zu schrill. Hier fehlt es noch ein wenig an Substanz.
Johan Hyunbong CHOI hätte man gern in einer größeren Rolle als der des
Dieners Nicias' gehört.
Der
CHOR des Lübecker Theaters kann was. Das ist keine Überraschung, sondern
ohrenscheinlich das Ergebnis der jahrelangen Arbeit von Joseph FEIGL.
Auch diesmal paßte alles. Der Zusammenklang (auch mit dem EXTRA-CHOR)
war ausgesprochen homogen, und insbesondere der Mönchchor wußte in seinen
Szenen ob des stimmlichen Potentials zu überzeugen.
Schade
war, daß die musikalische Begleitung des Abends durch das PHILHARMONISCHE
ORCHESTER weder der Grundstimmung des Stücks, noch der Inszenierung folgte.
Zu laut, oft viel zu mächtig ließ Daniel INBAL die Musiker aufspielen.
Das Gefühl für die lyrischen Momente schien dem Dirigenten leider abzugehen.
Hier blieb keine Zeit für schön gesungene Bögen oder das Nachklingen eines
Moments. Das Geschehen auf der Bühne wurde ein ums andere Mal vom Klanggetöse
schier erdrückt. Weniger wäre hier mehr gewesen. Das Orchester brauchte
etwas Zeit, um an diesem Abend warm zu werden, und klang nach der Pause
wesentlich genauer als davor.
Diese
Produktion, die in der neuen Spielzeit wiederaufgenommen wird, ist alles
in allem uneingeschränkt empfehlenswert, wenn man (anders als meine Begleitung)
keine Probleme mit der Geschichte an sich hat. Musikalisch ist mir diese
Oper von allen bisher gehörten Massenet-Werken mit am nächsten. Vielleicht
könnte jemand in Lübeck ja demnächst noch "Thérèse" auf den Spielplan
setzen… AHS
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