Mit
gerade einmal 23 Jahren schrieb der später in Hollywood als Filmkomponist
erfolgreiche Erich Wolfgang Korngold eine der interessantesten und vielschichtigsten
Opern, die ich kenne. Musikalisch pendelt sie irgendwo zwischen dem jeweils
Besten von Strauss, Wagner und Puccini mit leichten Operettenanklängen.
Sehr melancholisch und traurig, dabei aber dennoch stets heiter erzeugt
sie eine Grundstimmung, die in der Form ziemlich einzigartig sein dürfte
und förmlich danach schreit, nein viel eher schmachtet, zum Repertoire
eines jeden Opernhauses zu gehören.
Das
Theater Lübeck nahm sich nun des Stückes an. Regie führte Dieter KAEGI,
der vor ca. 10 Jahren am selben Haus zahlreiche Verdi-Opern in Grund und
Boden inszenierte, dafür später aber ein brauchbares "Schlaues Füchslein"
auf die Bühne brachte. Wirklich überzeugen konnte er mich mit seiner Sichtweise
nicht. Paul war mir einfach zu normal. Die Motivation für seinen Bruch
mit Frank und das Hadern mit seinem Leben nach dem Traum waren nicht ersichtlich.
Brügge
war zudem zu wenig präsent, wenngleich das Bild mit dem "Tod", der die
beiden Kirchtürme im 3. Akt hält, sehr viel Eindruck gemacht hat, ebenso
wie der Prospekt im 2. Akt. Darüber hinaus sehe ich nicht, daß sich Marietta
so respektlos verhält, sich auf dem Bild von Marie herum zu räkeln. Positiv
zu erwähnen ist jedoch das Schlußbild, das die Frage offen läßt, ob Paul
denn tatsächlich Brügge verläßt oder nicht.
Bruno
SCHWENGL entwarf das Bühnenbild und die Kostüme, welche nicht unbedingt
einen guten Einfluß auf die Stimmung hatten. Pauls Wohnung ist mir nicht
beklemmend genug. Es gibt ein großes Sofa auf der Bühnenmitte, an dem
das Portrait Maries lehnt, eine Schatulle mit ihrem Haarschopf auf dem
Boden und einen simplen Schrank als "Kirche des Gewesenen", sowie zahlreiche
Möbelstücke (?) im Hintergrund, die die ganze Zeit unter einem weißen
Tuch verborgen sind. Auch das Kostüm Paul gefiel mir nicht. Das Seidentuch
paßt nicht zu ihm, durch welches er zu weltmännisch wirkte. Die restlichen
waren unspektakulär.
Daß
die "tote Stadt" so selten aufgeführt wird, hängt sicherlich auch mit
den immensen Herausforderungen an die männliche Hauptrolle zusammen. Paul
muß fast die ganze Partie im Passaggio singen und zahlreiche Töne in der
Vollhöhe gegen ein fettes Orchester ansingen. Dieses gelang Richard DECKER
sehr souverän. Es fehlte allerdings noch das letzte Quentchen, um aus
einer guten eine sehr gute Interpretation herauszuholen, die man von ihm
aus anderen Rollen kennt. Er sang eher auf Sicherheit, vielleicht auch
aus Rücksicht darauf, daß er zwei Tage später an selber Stelle den Parsifal
gestalten sollte.
Großartige
Leistungen sind mittlerweile quasi zum Markenzeichen von Ausrine STUNDYTE
geworden. Sie überzeugte auf ganzer Linie als sehr differenzierte Marie/Marietta.
Sie war nicht nur eine dahergelaufene Tänzerin, sondern vermochte glaubwürdig
zu vermitteln, weswegen Paul sich so für sie interessiert. Spannend war
auch zu beobachten, wie sie im "Glück, das mir verblieb" plötzlich den
Stil änderte, so daß klar war, daß dort nicht Marietta, sondern Marie
singt. Stundyte ist zudem eine hervorragende Darstellerin, die auch in
der sehr expliziten (und dabei ziemlich textnahen) Szene mit Gaston, Victorin
und Frank ihre Würde behielt. Es bleibt zu hoffen, daß sie in der nächsten
Spielzeit dem Theater erhalten bleibt.
Daß
Frank Pauls Freund sein soll, kaufte ich Antonio YANG überhaupt nicht
ab. Er klang so als ob er mental schon beim Klingsor in zwei Tagen war.
Dafür sang er das Lied des Pierrot erstaunlich leicht und sehr zufriedenstellend.
Wioletta HEBROWSKA konnte als Brigitta auf ganzer Linie überzeugen.
Die
Nebenrollen waren angemessen mit Steiunn SKJENSTAD (Juliette), Anne ELLERSIEK
(Lucienne) und Tomasz MYSLIWIEC (Graf Albert) besetzt und auch Daniel
SZEILI als Victorin fiel nicht ganz so negativ auf wie sonst. Die stumme
Rolle des Gaston übernahm David WINER-MOZES.
Am
Pult der LÜBECKER PHILHARMONIKER stand Brian SCHEMBRI. Es gibt eigentlich
so gut wie keine Kritikpunkte, am gravierendsten ist jedoch der, daß er
häufig zu laut war und so die Protagonisten zudeckte, so daß diese nicht
so singen konnten wie sie es gewollt und gekonnt hätten, worunter insbesondere
Richard Decker zu leiden hatte. Die kleinen Chor-Parts wurden vom HAUSCHOR
(Joseph FEIGL), sowie dem Kinder- und Jugendchor VOCALINO (Gudrun SCHRÖDER)
kompetent gesungen. WFS
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