Wagners
"Parsifal" kann einem, das weiß ich nur zu gut, verdammt lang werden.
Es kann aber auch, und das habe ich gerade gelernt, ein recht kurzweiliger
Abend voller neuer Perspektiven sein.
Das
Theater Lübeck hat als erste Opernpremiere der neuen Spielzeit Wagners
letztes Werk auf die Bühne gebracht. Die Erwartungen waren entsprechend
der Aufführungstradition der vergangenen Jahre und besonders nach dem
zuletzt gestemmten, ausgesprochen erfolgreichen Ring hoch.
Regisseur
Anthony PILAVACHI macht aus der religiös-verkopften, musikalischen Dichtung
um Gral, Gralsritter, dem ewigen Kampf gegen das Böse und die Versuchung,
aus der Geschichte wie der reine Tor die Gesellschaft altersstarrer Männer
erlöst, die Vision einer Nahtoderfahrung. Die Idee erschließt sich vielleicht
nicht sofort, macht aber über den Abend gesehen durchaus Sinn.
Hier
liegt auch das große Plus der Wagnerinszenierungen Pilavachis. Es gibt
keine Ideen, die ins Nichts führen. Jeder Gedanke wird zu Ende gedacht
und nichts, wirklich gar nichts kommt nur zur reinen Provokation auf die
Bühne. Man kann den Ideen folgen und versuchen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen,
oder sich auch nur eine Vorstellung lang ausgesprochen gut unterhalten
lassen. Beides funktioniert, und beides macht Spaß.
Das
Bühnenbild (Ausstattung: Tatjana IVSHINA; Licht: Falk HAMPEL) lebt von
geschickten Perspektiven, wie beifällig wirkenden, aber doch wirkungsvollen
Details und neuen Blickwinkeln. Dieser "Parsifal" ist in gewisser Weise
dezentralisiert. Jede Figur, jede Gruppe hat ihren Moment. Und wie die
Bühnengestaltung lebt die gesamte Produktion von Bildern, von Symbolen.
Von dem erlegten Schwan bis zum Schlußbild, man erhält nie das, was man
erwartet, und entdeckt viel, wenn man aufmerksam ist.
Nicht
nur die in die Produktion, auch die auch in das Sängerensemble gesetzten
Erwartungen waren hoch - und man wurde nicht enttäuscht.
Ausrine
STUNDYTE gelang es wunderbar, beide Seiten Kundrys, die der Dienerin auf
der Gralsburg und die des Geschöpfs Klingsors, ohne jeden Bruch gleichwertig
darzustellen. Ihrer grandiosen musikalischen Interpretation tut diese
Komplexität in der Darstellung keinerlei Abbruch. Im Gegenteil, mal kraftvoll,
mal zerbrechlich klingend fügt ihre Stimme sich nahtlos zu Spiel und Text
und offenbart so künstlerische Perfektion.
Seinen
wirklich großen Moment hat der Parsifal dieser Produktion zwar erst im
letzten Aufzug, doch Richard DECKER spielte den Toren zwei Akte lang so
überzeugend, daß die letztendliche Verwandlung nicht nur gelungen, sondern
tatsächlich wundersam anmutete. Es war faszinierend, wie sich plötzlich
das Gebaren, die gesamte Haltung des Sängers änderten. Auch stimmlich
steigerte er sich von Aufzug zu Aufzug, was schlußendlich in einem grandios
gesungenen "Nur eine Waffe taugt" endete. Eine rundum imponierende Leistung,
engagiert und weitab von reinem heldischem Herumstehen.
Eigentlich
ist Amfortas' Dauerleiden eher langweilig. Eigentlich, denn hier wird
man von diesem Empfinden weg hin zu einer überraschend vielschichtigen
Figur geführt. Amfortas, der nur widerwillig dem Drängen der Gralsritter
nachgibt, der körperliche Qualen erdulden muß, um den Gral erscheinen
zu lassen, und der immer wieder zu jener Frau im Zaubergarten zurückkehrt.
Gerard
QUINN ist die perfekte Besetzung für einen so komplexen Charakter. Wie
auch immer er einen Weg gefunden hat, die Figur erschien plötzlich menschlich,
das Leiden nachvollziehbar, mitfühlbar. Mag es am Farbenreichtum der Stimme
liegen, ihrem makelloser Klang oder vielleicht doch am darstellerischen
Engagement, in jedem Fall war es gelungen.
Igor
LEVITAN ist neu am Theater und zwar als Mitglied des Opernelitestudios.
Sein Einstand als Amfortas' verbitterter und nörgelnder Vater Titurel
ist definitiv gelungen. Nach dieser bereits vielversprechenden Leistung
würde man gern mehr in einer längeren Rolle hören.
Spaß
am Bösesein in Wagner-Partien hat augenscheinlich Antonio YANG. Sein Klingsor
besitzt all die Verve, all die Lebendigkeit, die man sich von einem Interpreten
dieser Partie wünscht. Rollendeckend raumbeherrschend und stimmlich in
Topform nutzt er den zweiten Aufzug für einen fulminanten Beweis seines
Könnens.
Albert
PESENDORFER wirkt in all diesem ausgesprochen statuarisch. Man sieht und
hört einen Gurnemanz bar jeder (Selbst-) Ironie, was schade ist, denn
so hat die Partie ihre ermüdenden Längen und offenbart, was üblicherweise
am "Parsifal" so anstrengend ist: endloser Schöngesang, bei dem nur die
Worte die Geschichte erzählen.
Daß
die Knappen irgendwann die Flucht ergriffen, war so immerhin verständlich.
Wioletta HEBROWSKA, Anne PREUß, Daniel SZEILI und Patrick BUSERT gaben
sich als diese dafür ebenso quicklebendig wie stimmlich ausgesprochen
präsent. Als 1. und 2. Gralsritter waren Tomasz MYSLIWIEC und Johan Hyunbong
CHOI mit Spaß und eindrucksvollen Stimmen bei der Sache.
Die
gut disponierten Zaubermädchen Andrea STADEL, Rebekka REISTER, Wioletta
HEBROWSKA, Monika REINHARD, Anne ELLERSIEK und Valentina FETISOVA wurden
von den Damen des Chors spielfreudig unterstützt.
Auch
die Herren von CHOR und EXTRACHOR machten ihre Sache ausgesprochen gut.
Joseph FEIGL hat hier in der Chorleitung wieder einmal wahre Wunder gewirkt.
Das
PHILHARMONISCHE ORCHESTER hatte ebenfalls einen wirklich guten Abend und
spielte so sauber wie inspiriert. Die Leitung des Abends durch Roman BROGLI-SACHER
war einwandfrei und bar jeder Längen.
Anthony
Pilavachi und sein Team haben das Werk einmal kräftig durchgeschüttelt,
den Staub entfernt und gemeinsam mit dem Lübecker Opernensemble ein spannendes
Drama über Liebe, Leid und Fanatismus daraus gemacht.
Ist
das nun "Parsifal" wie Richard Wagner ihn sich gedacht haben könnte? Wohl
eher nicht, aber ganz ehrlich, das ist mir in diesem Fall auch völlig
egal. AHS
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