Das
Theater Lübeck bietet seinem Publikum in dieser Spielzeit einen Puccini-Zyklus
an. Neben "Turandot" und "Madame Butterfly" wurde hierfür auch die "Tosca"-Produktion
wiederaufgenommen.
Ausrine
STUNDYTE ist auf ihre eigene Art eine grandiose Tosca. Mit ihrem Spiel
fügt sich sie ganz natürlich in die Produktion. Der Anachronismus, die
Diskrepanzen zwischen Diva und Umgebung vorangegangener Aufführungen verschwanden
so. Sie ist eine moderne Frau mit ihren eigenen Vorstellungen vom Leben,
mit all ihren Launen und Ausbrüchen.
Angenehm
ist, daß die Sängerin sich nicht auf reinen Schöngesang konzentriert.
Es gibt sie auch, diese einfach schönen Momente, doch dazwischen hört
man viel von Toscas Leidenschaft, Eifersucht und Wut. "Vissi d'arte" vernahm
man als anklagenden Vorwurf an jenen Gott, dessen Regeln die Diva doch
stets beachtet, von dem sie aber trotzdem so hart geprüft wird. Dargebracht
wurde all dies von einer gut ausgebildeten und doch höchst angenehm und
jung klingenden Stimme. Man hörte jemanden, dem es gegeben ist, sich hundertprozentig
auf den jeweiligen Partner einzustellen, ohne daß die eigene Partie für
eine Sekunde vernachlässigt wurde.
Der
zweite Akt geriet so zu einem Zwei-Personen-Stück mit Randfiguren, denn
Gerard QUINN ist hier ein kongenialer Partner. Neben seiner eigenen, stets
passenden Rolleninterpretation bot er eine Projektsfläche für seine Bühnenpartnerin.
Man fiel vom Plauderton in den wütenden Wortwechsel, kehrte zurück zu
einer zivilisierten Kommunikation (der "Quando"-Dialog war in seiner fast
absurden Leichtigkeit der beste, den ich je auf einer Bühne gehört habe)
und steigerte sich zum Ende hin zum unvermeidlichen und hier befreienden
Mord.
Gesanglich
bietet Scarpia einem Bariton natürlich stets die Möglichkeit, sein Können
ausreichend zu präsentieren. Gerard Quinn ließ dies nicht ungenutzt. Überraschend,
weil eigentlich nicht vorstellbar, war die noch weiter ausgefeilte Nutzung
der Stimme als Charakterisierungsinstrument. Jede Stimmungslage, jede
noch so kleine Nuance konnte man heraushören, ohne die Worte verstehen
zu müssen, die gesungen wurden. Möglich ist dies nur, wenn man eine Stimme
sein eigen nennt, die verläßlich und gut ausgebildet ist. Wenn sie dann
noch so ausgesprochen prächtig wie in diesem Fall klingt, wird der Abend
zum reinen Vergnügen.
Auf
einen zumindest stimmlich guten Cavaradossi wartete man indes vergebens.
Weshalb man auf die Idee verfallen ist, diese Partie wieder mit Mario
DIAZ zu besetzen, bleibt wohl ein Rätsel. Seine Stimme scheint nur noch
in Teilen nutzbar. Eine Höhe ist schlicht nicht vorhanden. Es wurde viel
gegurgelt, und man hört übermäßig viele gepreßte Töne. Hier stellt sich
dringend die Frage, ob nicht manchmal einen Sänger vor sich selbst schützen
sollte. Aus Tenor-Gründen war dieser Abend für mich dann auch nur zweiaktig.
Wie
bereits zehn Tage zuvor hatte man seine helle Freude an der Baß-Fraktion.
Johan Hyunbong CHOI (Angelotti) und Yong-Ho CHOI (Mesner) waren eine echte
Offenbarung in Gesang und Rolleninterpretation. Enrico Adrian RADU als
Spoletta und Ivan LOVRIC-CAPARIN als Sciarrone ergänzten solide.
CHOR
und EXTRACHOR (Leitung: Joseph FEIGL) brachten ein ausgesprochen professionell
gesungenes TeDeum zu Gehör. Die Kinder des Theaterkinderchors VOCALINO
(Leitung: Gudrun SCHRÖDER) wirkten bei ihrem kurzen Auftritt springlebendig
und klangen sehr angenehm.
Überrascht
wurde man vom Dirigat des Abends. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER klang
so italienisch schwelgerisch, streckenweise sogar ausgesprochen lyrisch,
das man kaum glauben mochte, daß der im Besetzungszettel vermerkte Roman
BROGLI-SACHER am Pult stand. Leider kam es ein-, zweimal wieder zu den
bereits in der "Traviata" aufgefallenen Irritationen zwischen Graben und
Bühne. Es steht zu hoffen, daß dies nicht zu einem grundsätzlichen Problem
heranwächst.
Die
Produktion steht in gleicher Besetzung noch einmal für Ende Mai auf dem
Programm. Die beiden ersten Akte sind uneingeschränkt empfehlenswert.
AHS
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