Es
ist wirklich schade, daß in den letzten Monaten keine Zeit war, nach Lübeck
zu fahren. Diese "Traviata"-Vorstellung zeigte, wie sehr das dortige Opernensemble
doch eine Reise wert ist.
Für
Lea-Ann DUNBAR konnte man sich schon zu ihrer Zeit in Hildesheim begeistern.
Natürlich ist ihre Stimme inzwischen größer und klingt auch etwas dunkler,
aber immer noch ausgesprochen schön. Geblieben sind die unbedingte Hingabe
an die Rolle sowie die vokal und darstellerisch durchdachte Gestaltung
der Partie. Ihre Violetta wirkte von Anfang an wie ein Fremdkörper in
der überdrehten Pariser Halbwelt, wurde aber (stets im Kompromiß mit der
Inszenierung) mit viel Gefühl und Aufrichtigkeit dem Publikum präsentiert.
Dmitry
GOLOVNINs Alfredo schloß sich dem Treiben in dieser überspannten Welt
anscheinend nur zu gern an. Ein wenig mehr Begeisterung für die Rolle
an sich wäre an diesem Abend vielleicht wünschenswert gewesen. Beinahe
zuviel des Guten war dieser stets latent vorhandene Übermut. Ähnlich verhielt
es sich auch mit der musikalischen Seite der tenoralen Interpretation.
Da wird mit dem ausgesprochen gut klingenden Material verschwenderisch
geprotzt - auch dort, wo weniger vielleicht mehr gewesen wäre. Hier und
da wird rollenkonform ein wenig geschlampert. Wenn es darauf an kommt,
singt der Tenor allerdings so, daß jeder Gesangslehrer stolz wäre.
Die
gesanglich beste Leistung konnte man dann aber doch wieder von Gerard
QUINN (Giorgio Germont) hören. Die Stimme ist mittlerweile beinahe zu
groß für die Lübecker Verhältnisse. Ihr perfekter Sitz und seine hohe
Musikalität erlauben dem Bariton eine vokale Gestaltung, die ihresgleichen
sucht. So bricht bei "il tuo vecchio genitor" die Stimme plötzlich, und
für einen Moment klingt Germont um Jahre gealtert. Überhaupt ist Alfredos
Vater hier ausgesprochen manipulativ. Er gibt sich immer korrekt, im Verhalten
seiner Gesellschaftsschicht entsprechend, höflich, fürsorglich sogar -
doch stets mit Blick auf die Verwirklichung der eigenen Ziele (aus Sicht
einer Tochter möchte ich mit Alfredo eher nicht tauschen).
In
den kleineren Partien wußte besonders Veronika WALDNER als Flora zu begeistern,
die aus einer von der Regie eher oberflächlich und plakativ angelegten
Interpretation einen echten Szenenmittelpunkt machte. Auch ihre Kollegen
Hyo Jong KIM (Gastone), Hyeon-Jun Yeoum (Douphol), Johan Hyunbong CHOI
(Marquis), Therese FAUSER (Annina), Enrico Adrian RADU (Giuseppe) und
Andreas HALLER (Grenvil) machten ihre Sache sehr gut, wobei die starke
Baß-Fraktion unbedingt gesondert erwähnt werden muß. Die
Regie war auf die eigentlich recht überflüssige Idee verfallen, Alfredos
Schwester als stumme Rolle auf die Bühne zu bringen. Hilli EICHENBERG
hauchte dieser Idee glücklicherweise viel Leben ein.
Auch
der Lübecker CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Joseph FEIGL) hatte trotz der
abstrusen Regie eigentlich einen guten Abend. Unglücklicherweise stand
der gelungenen Kollektivleistung das Dirigat durch Mark SHANAHAN im Weg,
das immer wieder für Irritationen auf der Bühne sorgte. Das PHILHARMONISCHE
ORCHESTER klang solide. Allerdings hatte man am Premierenabend im Herbst
einen schwungvolleren und mehr inspirierten Verdi gehört als an diesem
Abend.
Die
Inszenierung von Gregor LÜTJE erschließt sich auch beim zweiten Sehen
nicht. Alles wirkt zusammengewürfelt. Mit dem Chor konnte der Regisseur
anscheinend gar nichts anfangen oder er wollte hier zuviel. Glücklicherweise
ist die Produktion bereits jetzt recht abgespielt, und in diesem Fall
zeigt sich die Devise "jeder macht, was er kann" doch wieder als die bessere
Alternative.
Die
Kostüme (Constanze SCHUSTER) schwanken wie so oft zwischen passend (Alfredo)
und recht häßlich (z.B. bei Flora). Bunt allein steht selten für Inspiration.
Der gesamte Abend spielt mehr oder weniger im gleichen Bühnenbild (Stefan
HEINRICHS), wobei der Hintergrund hin und wieder wechselt. Auch hier scheint
bunt eine wichtige Direktive gewesen zu sein. (Allein der fast dauerpräsente
Koffer Violettas ließ mich schmunzelnd an einen gewissen Gerhard Magenheim
aus Wien denken, der daran wohl seine wahre Freude gehabt hätte.) AHS
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