Nur
ca. acht Jahre nach der letzten nicht unbedingt spannenden "Carmen"-Produktion,
entschloß sich das Theater Lübeck zu einer Neuinszenierung, die Alberto
TRIOLA anvertraut wurde. Er fokussiert sich auf Don José, der während
der Ouvertüre Zeitung lesend am Küchentisch in einer spießigen Einrichtung
sitzt, während seine Frau Micaela den Kindern Schulbrote schmiert und
sie in die Schule schickt. Ob die eigentliche Handlung dann eine Phantasie
oder eine Rückblende ist, erschließt sich mir nicht so ganz. Jedenfalls
endet die Oper damit, daß er am Ende wieder in der Küche ist und Micaela
erstaunt ihren am Boden kauernden Mann findet.
Alles
in allem vermag die Inszenierung durchaus zu gefallen, wenngleich Triola
vielleicht zu viel will, und ich nicht alles verstanden habe. Einige Ideen
sind wirklich nicht schlecht, werden aber nur kurz angedeutet und dann
nicht wieder aufgegriffen, wie z.B. die Armut der Bevölkerung (Micaela
wird bei ihrem ersten Auftritt von Bettlern fast bedrängt), der militärische
Drill im Kindesalter oder die magischen Kräfte der Zigeuner (Carmen hypnotisiert
die Soldaten bei ihrer Flucht). Ich bin zwar kein großer Fan von Verdopplungen
von Personen auf der Bühne, aber hier machte es tatsächlich Sinn, als
im Schlußbild, das in der Umkleide der Stierkämpfer spielt, plötzlich
fünf Carmens auftauchten und José sich in einen regelrechten Wahn hineinsteigerte
und ständig irgendeine falsche "Carmen" ansang.
Das
stimmungsvolle Bühnenbild stammt von Tiziano SANTI und die kleidsamen
Kostüme von Manuel PEDRETTI. Mir war allerdings nicht so ganz klar, wann
das alles nun spielen soll. Die Küche sah eher nach den siebziger oder
achtziger Jahren aus, während die eigentliche Handlung doch eher früher
zu spielen scheint.
Anna
MALAVASI sang eine temperamentvolle Carmen. Im Großen und Ganzen lieferte
sie mit ihrem in der Tiefe gurgelnden Mezzo eine gute Leistung ab, allerdings
war sie mir in den derben Passagen eine Spur zu derb. Außerdem war ihr
Vortrag gelegentlich zu absehbar und nicht unnahbar genug. Die
Rolle lebt ja von der Unberechenbarkeit und dem Hin und Her mit ihrem
potentiellen Liebhaber. Dennoch war der Eindruck überwiegend positiv.
Der
junge Giancarlo MONSALVE gab ebenso wie Malavasi sein Hausdebüt. Sein
José war das mit Abstand Beste, was ich in der Rolle bislang live gehört
habe. Er macht die Entwicklung vom zurückhaltenden Sergeanten zum vom
Wahn zerfressenen verschmähten Liebhaber ungemein plastisch deutlich.
Seine Blumenarie (mit Piano!) war unglaublich packend und verdammt clever
aufgebaut. Dazu zeigte er sich als sehr guter Darsteller. Einer großen
Karriere im dramatischen Spinto-Fach dürfte nichts im Weg stehen! Dort
herrscht ja eh eine große Flaute...
Anne
ELLERSIEK machte als Micaela eine gute Figur. Während sie vor anderen
Personen die starke Frau zeigte bzw. vor José zu zeigen versuchte, ließ
sie in ihrer Arie ihre Fassade fallen. Man darf gespannt sein, was von
ihr noch so alles kommt!
Die
Qualität eines Escamillos bemisst sich eigentlich nur daran, wie ein Sänger
an dieser undankbaren Partie scheitert. Antonio YANG versuchte noch nicht
einmal, irgendwas aus der Rolle herauszuholen. Er sang irgendwie alles
gleich.
Unter
den Nebenrollen ragten insbesondere Wioletta HEBROWSKA (Zweitbesetzung
für die Carmen) als Mercedes und Patrick BUSERT als auf Captain Jack Sparrow
getrimmter Remendado heraus, die aus ihren kleinen Rollen verdammt viel
machten und so ihre Bühnen-"Partner" gnadenlos gegen die Wand sangen.
So nervte Andrea STADEL (Frasquita) zwar nicht ganz so schlimm wie sonst,
aber immer noch zu viel, und Daniel SZEILI (Dancairo) blieb arg blaß.
Durchaus
hörenswert war der Morales von Hyeon-Jun YEOUM. Philip MEIERHÖFER sang
einen soliden Zuniga. Mark MCCONNELL ergänzte als Lillas Pastia.
Nicht
unerwähnt bleiben sollte FLUFFY, der kleine, süße, weiße Theaterhund,
der zwar sichtlich nervös war, aber dennoch während der Ouvertüre allen
die Show stahl.
Insgesamt
gilt trotz durchweg guter Gesangsleistungen festzustellen, daß das Französisch
bei kaum jemandem wirklich französisch klang.
Wenn
Roman BROGLI-SACHER am Pult der LÜBECKER PHILHARMONIKER
seine Tempi auch dirigieren könnte, hätte es ein sehr runder Abend werden
können. Zwar schaffte er es tatsächlich, das Orchester zusammenzuhalten,
jedoch waren die langsamen Passagen erneut zu öde und die schnellen zu
wenig feurig. Dazu kam, daß die lauten Passagen einfach nur laut rumdröhnten,
und das Blech mal wieder sehr derb daherkam.
Der
CHOR samt EXTRACHOR unter Josef FEIGL konnte sich nach der einen katastrophalen
"Mefistofele"-Aufführung wieder rehabilitieren und lieferte eine solide
Leistung ab. Der KINDER- und JUGENDCHOR VOCALINO unter Gudrun SCHRÖDER
sang ohne Fehl und Tadel. WFS
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