Als
ich las, daß das Theater Lübeck Arrigo Boitos "Mefistofele" bringt, habe
ich mich sehr gefreut, da ich dieses Stück unbedingt live sehen wollte,
seit ich es vor Jahren das erste Mal auf einer Aufnahme gehört habe.
Bekannt
geworden ist Boito ja eigentlich als Librettist von Verdis Spätwerken.
Seine Musik ist ein spannender stilistischer Mix von Verdi, Donizetti,
Puccini, Wagner und Offenbach. Was man dem Werk evtl. vorhalten könnte
ist, daß es doch arg episodenhaft her kommt, und ein wenig der rote Faden
fehlt, aber als großer Fan von "Les Misérables" kann ich da großzügig
drüber hinwegsehen...
Daß
sich eine gewisse Frustration bei mir einstellte, lag in allererster Linie
an der Inszenierung von Heinz-Lukas KINDERMANN - es handelt sich um eine
Koproduktion mit dem Pfalztheater Kaiserslautern. Ich hatte niemals den
Eindruck, daß der Regisseur sich mit dem Stück irgendwie auseinandergesetzt
hat. Das Bühnenbild von der jüngst verstorbenen Heidrun SCHMELZER besteht
zum großen Teil aus einem nach hinten sich verengenden gelben Raum, auf
dem zahlreiche Symbole abgebildet sind. Eines konnte ich jedoch nicht
entdecken: das Fragezeichen... Was auf der Bühne geschah, sah für mich
eher so aus wie man sich einen Drogentrip vorstellt. Der stärkste Moment
stellt sich bezeichnenderweise dann ein, wenn Kindermann den Protagonisten
Spielraum läßt, nämlich in der Wahnsinnsszene der Margerita.
Dem
Sänger des Mefistofele Anders PALERDI kann man eigentlich nicht viel vorwerfen.
Er bewältigt die Partie ohne Probleme und ist auch ein guter Darsteller,
allerdings fehlte mir ein wenig das Verschlagene dieser Figur, die Raffinesse,
das Changieren zwischen Gut und Böse.
Dmitri
GOLOVNIN wirkte als Faust ab und an etwas angestrengt. Vielleicht liegt
ihm die Rolle einfach zu hoch. Im Gegensatz zu dem, was man sonst in dem
Fach dort sonst so in den letzten Jahren um die Ohren geschlagen bekam,
war es freilich eine Erlösung... Seine beste Leistung zeigte Golovnin
im 3. Akt, was sicherlich auch an seiner kongenialen Margerita lag.
Diese
war mit Ausrine STUNDYTE herausragend besetzt. Sie schafft es immer wieder
mit ihrem intensiven Gesang und ihren nicht minder grandiosen darstellerischen
Fähigkeiten, ihre Rollen unglaublich plastisch erscheinen zu lassen. Während
bei anderen Sängern das Schluchzen eine oftmals peinliche Note hat, bindet
sie es in ihren Vortrag ein, so daß es einfach echt wirkt. Ihre Wahnsinnsszene
war schlicht und ergreifend hinreißend.
Auf
durchweg gutem Niveau präsentierten sich auch die Sänger der kleineren
Rollen. Wioletta HEBROWSKA sang solide die Marta sowie die Pantalis. Agnieszka
SOKOLNICKA war eine hörenswerte Elena und Hyo Jong KIM fügte sich als
Wagner und Nerèo gut ein.
Am
Pult der LÜBECKER PHILHARMONIKER bewarb sich Giacomo SAGRIPANTI Presseberichten
zufolge um den vakanten Posten des 1. Kapellmeisters. Der junge Italiener
führte das Orchester gut durch die Oper und machte durch interessante
Tempi durchaus auf sich aufmerksam.
Einen
schier katastrophalen Abend erwischte der durch den EXTRACHOR verstärkte
HAUSCHOR unter Joseph FEIGL. Zusätzlich zu einem quakenden Tenor und einem
quietschenden Sopran, versemmelten sie allesamt Einsätze am laufenden
Band und zeigten sich überfordert. Zweifelsohne gibt es einige Passagen,
die verdammt schwer sind, aber das war einfach indiskutabel. Im Wissen
um die eigentlichen Qualitäten, möchte ich das aber einfach als einmalige
unterirdische Abendform abhaken. WFS
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