Was
haben die norddeutschen Küstenregionen und die deutschsprachige Schweiz
gemeinsam? Im Normalfall wohl wenig, in diesem besonderen aber Einiges,
hat doch das Lübecker Theater mit Roman BROGLI-SACHER einen Schweizer
GMD und Operndirektor, der sich für das Opernschaffen seines Landsmannes
Othmar Schoeck einsetzt - und dieser wiederum schrieb "Vom Fischer un
syner Fru" auf den plattdeutschen Märchentext, der, vom Maler Philipp
Otto Runge 1806 geschrieben, durch die Übernahme in die Grimm'sche Sammlung
weite Verbreitung fand. Die Uraufführung der 35-minütigen "dramatischen
Kantate" fand 1930 an der Dresdner Oper im Doppelpack mit einem anderen
Werk von Schoeck statt; in Lübeck hatte man sich für einen reinen "Meeresabend"
entschieden und vor der Pause mit "The Lighthouse" von Peter Maxwell Davies
einige hundert Seemeilen weiter nördlich auf den Äußeren Hebriden begonnen
- womit man leider die falsche Reihenfolge gewählt hatte, denn der etwa
doppelt so lange, aber kammermusikalisch knapp komponierte, schon rein
von der Story her spannende Psychothriller des auf den Orkney-Inseln lebenden
Briten läßt den großorchestralen, spätromantisch wohltönenden, aber theatralisch
sehr unergiebigen Schoeck als harmlosen, etwas zuckerig aufgeblasenen
Nachtisch erscheinen.
Da
hilft auch die szenische Aufpeppung durch Waltraud LEHNER nicht, die aus
dem moralischen "Du sollst nicht alles wollen" den Kampf einer Frau um
Anerkennung macht. Je weiter ihre Wünsche gehen, desto mehr verwandelt
sie sich aus einer "Trutsch" zur attraktiven jungen Frau, die endlich
auch als solche von ihrem Mann wahrgenommen wird, womit die Rückkehr in
den "Pisspott" am Ende nicht weiter schwer zu fallen scheint; sie hat
erreicht, was sie will - erreicht allerdings mit viel Gerenne und einer
Hektik, die dann doch wieder ins zeigefingerhafte driftet, das Stück bleibt
auch in dieser Form so simpel plakativ, wie es inhaltlich nun einmal ist.
Völlig
anders geht es im "Lighthouse" zu, dessen düster nebelige Atmosphäre sich
schon im irgendwo zwischen Leuchtturm und Bohrinsel changierenden Bühnenbild
von Stefan HEINRICHS widerspiegelt (nach der Pause wird man Bruchstücke
davon wiederfinden, ohne daß die Wirkung erhalten bliebe). Die Geschichte
von den drei Leuchtturmwärtern, deren spurloses Verschwinden die drei
(identisch besetzten) Offiziere des Versorgungsschiffes vor einem imaginären
Tribunal erklären müssen, stimmt in Waltraud Lehners Umsetzung einfach
deswegen, weil sie NICHT alles erklärt, sondern die bewußten Unklarheiten
der Geschichte als solche beläßt, indem sie etwa die Ballade vom angeblich
geschehenen Mord an der Nachbarin, mit der einer der drei Wärter vielleicht
seine Seele erleichtert, vielleicht aber auch nur den Psychokrieg der
vom Lagerkoller befallenen Männer anheizt, im vom Wasser bedeckten unteren
Raum des Leuchtturms szenisch umsetzt, im Halbdunkel, in dem man nicht
wirklich Genaues weiß - was die Spannung bekanntlich erhöht.
Und
dort, wo man wirklich sieht, wie die Wärter sich bekriegen oder die Offiziere
ihre - gespielte? - Unsicherheit zu verbergen suchen (denn am Ende scheint
es so, als hätten diese die sie angreifenden Wärter getötet), hat sie
absolut präzise gearbeitet - ein tolles Stück in einer ebensolchen Umsetzung,
das den "Nachtisch" nicht nötig gehabt hätte, aber mit 75 Minuten kann
man natürlich keinen Opernabend bestreiten...
Gesungen
- und gespielt -wurde an diesem Nachmittag (der ersten Aufführung nach
der Premiere) durchweg ausgezeichnet, wobei für mich Andreas HALLER besonders
hervorstach. Sein Baß kam nicht nur bei Schoeck als Butt rollendeckend
gemütvoll verschlafen knurrend - und eindeutig verstärkt - aus dem Off,
sondern er demonstrierte auch vor der Pause AUF der Bühne als Arthur/Officer
3, daß er die Verstärkung wahrlich nicht nötig hat, so eindeutig dominierte
er in puncto Volumen die beiden Kollegen, ohne dabei ins "draufhauen"
zu verfallen. Und obendrein machten ihm auch die extremen Höhen und Tiefen
dieser Partie keinerlei Probleme, bravissimo!
Gerard
QUINN zeigte als Blazes/Officer 2 einmal mehr, wie sich auch moderne Musik
mit Schöngesang verbinden läßt, und daß eine psychisch gestörte Figur
gewinnen kann, wenn man sie mit stimmlicher Eleganz und genauer Wortbehandlung
interpretiert. Und als Muttersprachler ist er hier natürlich ohnehin im
Vorteil. Patrick BUSERTs Tenor fällt weder unter die Kategorie Belcanto
noch besitzt er eine "Röhre", aber was er aus seinen Mitteln gestalterisch
macht, ist auch diesmal (Sandy/Officer 1) ein Vergnügen, und schauspielerisch
ein eindringliches Rollenportrait mehr.
Nach
der Pause saß er dann auch noch zur Sicherheit im Graben, um notfalls
sofort für den als indisponiert angesagten Daniel SZEILI einsteigen zu
können, was sich aber als unnötig erwies, da Szeilis lyrischer Tenor unangefochten
über Höhen und Orchester hinwegtrug und sich hinter dem ebenfalls schön
lyrischen Sopran seiner "Fru" Anne ELLERSIEK nicht zu verstecken brauchte.
Funktionieren
tat dies allerdings auch, weil Gastdirigent Ralf LANGE Schoecks großes
ORCHESTER zwar zwischendurch klangschön aufrauschen ließ, bei den Sängern
aber immer wieder klug zurücknahm; eine Tugend, die er zuvor auch bei
Maxwell Davies walten ließ, dessen zwischen mitunter gewollt traditionell
wirkender Oberfläche versteckte harmonische und rhythmische Gemeinheiten,
die dem Stück eine permanente Gefährlichkeit verleihen, sehr präzise herausgearbeitet
wurden. Das klang nach Proben-Feinarbeit - und das Orchester hatte sich
seinen Applaus am Ende auch redlich verdient. HK
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