Der
Schweizer Othmar Schoeck (1886-1957) gehört heute zu den weitgehend Vergessenen
der Musikgeschichte. Ab und an hört man einige seiner vielen Klavierlieder,
Dietrich Fischer-Dieskau hat sich zudem für das "Notturno" für Bariton
und Streichquartett eingesetzt, und der Norddeutsche kennt aus inhaltlichen
Gründen vielleicht noch den Titel der Kantate "Vom Fischer un syner Fru".
Schoecks
Opern haben es von Anfang an schwer gehabt. Selbst die dem Namen nach
bekannteste, "Penthesilea", fand trotz erfolgreicher Uraufführung am 8.
Januar 1927 an der Dresdener Oper weiter keine Verbreitung, das Rennen
bei den Zeitgenossen machten Hindemiths zwei Monate vorher ebenfalls in
Dresden herausgekommener "Cardillac" (welcher Intendant würde sich das
heute noch trauen? - und die Partituren termingerecht bekommen …) und
vor allem der gerade einmal vier Wochen später in Leipzig uraufgeführte
"Jonny spielt auf" von Ernst Krenek.
In
der Rückschau erscheint das durchaus verständlich. Schon das Libretto,
für das Schoecks Cousin Leon Oswald die Kleistsche Tragödie auf Opernlänge
reduzierte, sprachlich aber ansonsten nicht veränderte, ist schwierige
Kost. Und musikalisch befand Schoeck sich zwischen sämtlichen Stühlen:
Einerseits hatte er kompositionstechnisch oder stilistisch nichts völlig
Neues oder gar skandalträchtiges zu bieten, andererseits dürfte ein konservativerer
Geschmack an der spröden Melodik und dem recht ungewöhnlichen Orchesterklang,
der mit seinen nur vier Violinen, aber zehn Klarinetten sowie reichlich
Blech und Schlagwerk als "bronzen" oder "gepanzert" charakterisiert wurde,
nur wenig Gefallen gefunden haben. Schoeck selbst empfand bei der Uraufführung
das lyrische Element als zu kurz gekommen und erweiterte die Szene Penthesilea-Achill
um ein Liebesduett. Aber auch mit dieser Annäherung an die Konventionen
kam es nur zu Folgeproduktionen in Zürich (1928) und Leipzig (1942).
Nach
dem Krieg gehörte Schoeck dann obendrein zu den "Unzeitgemäßen", der Focus
verlagerte sich auf Schönberg und seine Mitstreiter und Nachfolger. Gerade
einmal zwei Produktionen hat es bis 1979 gegeben, 1957 in Stuttgart unter
Ferdinand Leitner mit Martha Mödl und 1968 erneut in Zürich (was in der
internationalen Presse vermutlich unter Lokalpatriotismus verbucht wurde).
Erst ab den Achtzigern wendete sich das Blatt, wobei sich vor allem zwei
Dirigenten hervorgetan haben. Gerd Albrecht leitete sowohl eine konzertante
Aufführung bei den Salzburger Festspielen 1982 (die zugleich die erste
offizielle Platteneinspielung wurde) als auch die Premiere in Dresden
im letzten Jahr. Und der Schweizer Mario Venzago brachte nach einer konzertanten
Version im Jahr 1999 vor zwei Jahren in Basel eine vielbeachtete Produktion
mit Hans Neuenfels als Regisseur heraus.
Venzago
nahm auch einige Veränderungen in der Partitur vor, die für die Lübecker
Aufführung übernommen wurden. So übertrug er viele der Melodram-Passagen
auf eine neu geschaffene Frauenrolle für eine Schauspielerin (die Oberste
der Amazonen, die es bei Kleist gibt, in der Oper aber eigentlich nicht),
um den Sängern den schwierigen Wechsel zwischen sprechen und singen möglichst
abzunehmen - und vielleicht auch in der Erkenntnis, daß Kleists verschachtelte
Sätze, die man schon als Leser mitunter nicht sofort überschaut, in gesprochener
Form durch ein zumeist internationales Ensemble kaum befriedigend bewältigt
werden können. Zudem schwächte Venzago dynamische Vorschriften für das
Orchester ab; um die Stimmen besser zur Geltung zu bringen.
Erfreulicherweise
schien Philippe BACH sich daran sehr gründlich orientiert zu haben, denn
er drehte an einigen dramatischen Stellen zwar kräftig auf, überzog aber
nie und überraschte über weite Strecken mit einem fast kammermusikalischen
und farblich ausgesprochen variablen Klangbild, bei dem das PHILHARMONISCHE
ORCHESTER der Hansestadt einmal mehr seine Qualitäten unter Beweis stellen
konnte.
Diese
Dezenz kam vor allem der Penthesilea von Anne-Carolyn SCHLÜTER zugute,
einer jugendlich-schlanken, mädchenhaften Amazonenkönigin, deren hell
timbrierter Mezzo in den Forteausbrüchen einige Male an Grenzen geriet.
Dafür überzeugte sie im lyrischen Bereich mit schöner Linienführung und
einer sehr differenzierten Textauslotung um so mehr. Als ebenbürtiger
Partner erwies sich Gerard QUINN (Achilles), auch er sehr auf Textverständlichkeit
bedacht, ohne dabei je das Legato aus dem Auge zu verlieren. Und da, wo
es auf Kraftentfaltung ankam, war er der deutlich überlegene.
Die
anderen Partien bleiben daneben mehr oder weniger ergänzende Staffage,
zu groß zwar, um nebenbei behandelt werden zu können, aber nicht bedeutend
genug, um als Gegenpart zu den beiden Protagonisten zu wirken. Erfreulicherweise
war auch hier das Niveau hoch; besonders die aus Basel ausgeliehene Oda
PRETZSCHNER profilierte sich als Oberste der Amazonen mit einer Demonstration,
wie man Kleist heute sprechen kann, mit dramatischem Feuer, aber ohne
falsches Pathos. Anne BAXTERs silbrige Soubrettenstimme ergab einen schönen
Kontrast zur Schwester Penthesilea, und Astrid von FEDER besaß für die
Oberpriesterin der Diana genügend Autorität, um klar zu machen, wer das
Sagen hat, wenn es um die Formalien geht. Auf griechischer Seite demonstrierte
Daniel SZEILI mit ein paar kräftigen Tönen, daß in einer ergiebigeren
Rolle von ihm mehr zu erwarten wäre.
Regisseur
Alexander SCHULIN lieferte eine solide Arbeit ab, die sich ohne großes
Brimborium auf die Beziehungen der Figuren untereinander konzentrierte.
Ein alter Hut war freilich der Einsatz des Tangotanzens als Form des Geschlechterkampfes,
aber vielleicht zollte hier der Verlegung in die Entstehungszeit Tribut,
für die Cornelia BRUNN ein zerstörtes Bürogebäude als Einheitsbühnenraum
entworfen hatte. Damit ließ sich problemlos leben, auch mit der Kleidung
der Amazonen (Hosenanzüge für die Kriegerinnen und Kostüme mit langen
Röcken für die "Verwaltungsebene"). Nur die Griechen - und speziell ausgerechnet
Achill - sahen im Smoking mit glatt zurückgekämmten Haaren aus, als hätten
sie den Sieg beim Party-Smalltalk errungen. HK
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