Hätte
man mit Blick auf den Lübecker Spielplan 2007/08 auf ein Opernwunder tippen
müssen, die anstehende "Onegin"-Produktion wäre es - trotz z.T. vielversprechender
Besetzung - nicht gewesen. Eine an Häusern dieser Größe leider wenig übliche
Originalsprache, ein einem noch nicht geläufiger Regisseur sowie der neue,
sogenannte Erste Kapellmeister alles Punkte, die skeptisch machten.
Dem
Premierenpublikum bot sich am ersten Februarabend, auch aufgrund von Besetzungsglück
in der weiblichen Hauptrolle, ein solches "kleines Wunder". Ein bis in
die kleinste Rolle leistungsstarkes Sängerensemble, dessen durch die Bank
weg gute Sprachbehandlung sowie eine schlichte, werkgetreue Inszenierung
(Frank-Bernd GOTTSCHALK) ermöglichten eine lebendige Wiedergabe der Tschaikowsky-Oper
von der ersten Szene an.
Das
Treiben auf dem Larinschen Landgut ist ein recht munteres. Ob Veronika
WALDNER, die als Larina viel von deren Lebhaftigkeit aus den heraufbeschworenen
früheren Zeiten zeigte und mit der sicher geführten Stimme auch die komplizierten
Zisch- wie Sch-Laute sauber artikuliert, ob Roswitha C. MÜLLER, deren
Olga augenscheinlich die Tochter jener Frau ist und mit spiegelbildhaften
Temperament den Dichter ihrer Wahl schlußendlich ins Duell treibt. Eine
Mezzoteam, dem man gern häufiger zusehen, wie -hören mag. Hinzu kommt
Cornelia DIETRICH als Amme, die stimm- wie sprachlich zwar nicht ganz
mithielt, der Rolle aber trotzdem Würde verlieh.
Komplettiert
wurde die Familie von einer der außergewöhnlichsten Tatjanas, die ich
bisher erleben durfte. An der Bewältigung der Partie durch Chantal MATHIAS
bestand kein Zweifel, doch diese gesanglich und schauspielerisch unglaublich
intensive Leistung überraschte und berührte tief. Vor der Pause erhielt
man einen tiefen Einblick in jene Mädchenseele, die durch einen Brief
letztlich die gesamte Handlung ins Rollen bringt. Im zweiten Teil als
Fürstin vollendet hoheitsvoll findet sie perfekt Mittel und Wege die Kluft
zwischen dieser Tatjana und dem jungen Mädchen vom Lande zu schließen.
All dies wurde wunderschön auf Linie, zart und voller Emotionen gesungen.
Phantastisch!
Beim
Onegin von Gerard QUINN muß man genau hinschauen, sonst verpaßt man jene
kleinen, verhaltenen Gesten, die seinem (Anti-) Helden menschliche Züge
verleihen. Ein kurzer Blick auf Tatjana zum Beispiel, ein letztes, behutsam
zärtliches Streichen über ihren Brief, bevor dieser zurückgegeben wird,
all dies gab Einblick in den Charakter, der eben soviel komplexer ist,
als oftmals auf der Bühne gezeigt. Stimmlich ist der Bariton derzeit definitiv
in der besten Verfassung überhaupt. Sieht man sich sein derzeitiges Repertoire
an, macht dies einem die Komplexität der gesanglichen Fähigkeiten, die
sich dahinter verbergen, wieder überdeutlich.
Alexey
KUDRYAs Lenski gab sich überschwenglich, hoheitsvoll, manchmal ein wenig
geckenhaft, romantisch, melancholisch - kurz, er war so, wie man sich
Olgas Poeten vorstellt. Gesungen wurde dies mit einer unglaublichen Unbekümmertheit
durch die nur hin und wieder die Premierennervosität blitzte. Die Arie
blitzsauber und voll Gefühl gesungen. Das Solo zum Ende des vierten Bildes
ein musikalischer Höhepunkt.
Mit
seiner großen Bühnenerfahrung gelang es Andreas HALLER aus dem Fürsten
Gremin mehr zu machen als eine schlichte Ein-Arien-Partie. Da war neben
dem gewohnt souveränen Baßgetön auch eine kurze Rollenstudie durchaus
zu erkennen.
Gleiches
galt für Mark McCONNELL, dessen herrlich kauziger Triquet eine wahre Fundgrube
an übertriebenen tenoralem Gehabe stimm- wie darstellerisch war.
Daß
der Norden ein gutes Baßklima hat, bewiesen Young-Soo RYU als Trifon Petrowitsch
und Ivan LOVRIC-CAPARIN (Saretzki), während Aleksej SINICA souverän das
Chorsolo sang.
All
dies ist in warmen Erdtöne bzw. nach dem Ball in Schwarzweiß-Schattierungen
eingerichtet (Ausstattung: Karel SPANHAK). Das Bühnenbild zeigt mit minimalen
Mitteln, aber stets erkennbar alle Schauplätze des Stücks. Es gelingt
im Einvernehmen mit der der Inszenierung stets die richtige Stimmung zu
erzeugen, ohne von den Akteuren unmögliches zu verlangen. Die Kostüme
(Mitarbeit: Beate TAMCHINA) passen meist zur Zeit ebenso wie auch zu ihren
Trägern. Kurz, man bekommt als Zuschauer die Möglichkeit, sich zurückzulehnen
und diese Verknüpfung von Musik und Bühnenspiel zu genießen.
Ein
Manko besitzt die Inszenierung allerdings doch. Wohl, um Brücken zwischen
den Szenen zu schlagen, werden zwischendrin auf deutsch Ausschnitte aus
dem Versroman verlesen. Einmal davon abgesehen, daß die Handlung, sofern
dem Zuhörer unbekannt, nicht so kompliziert ist, daß die Zusammenhänge
nicht erfaßbar wären, zerdehnt Florian HACKE die Verse aufs Unerträgliche.
Hinzu kommt eine von wenig Textgefühl zeugende, falsche Betonung, die
jegliche Ironie verschwinden läßt. Puschkin ist weder Schiller, noch Shakespeare…
Ein
echtes Ärgernis war das Dirigat von Philippe BACH. Auch diesem ging jegliches
Gefühl für die "russische Seele" des Stücks komplett ab. Zugegeben, es
gibt wenige Dirigenten in unseren Breitengraden, denen es gelingt, für
diese Oper Tschaikowskys das richtige Klangbild zu erzeugen, doch es gibt
sie. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER schlug sich wacker, aber vieles geriet
zu laut. Man vermißte das Schwelgen in der Partitur ebenso wie den Witz
und die unterschwellig wachsende Dramatik. Schade, denn am Willen der
Musiker lag wahrlich nicht.
Philippe
Bach scheint außerdem zu Schwierigkeiten bei der Zeichengebung für die
Bühne zu haben. Nachdem er diesbezüglich im Januar bereits einen "Trovatore"
erfolgreich in den Sand setzte, konnte man auch bei dieser Premiere einige
Koordinationsprobleme mit Chor wie Solisten feststellen. Ersterer schließlich,
wieder bestens von Joseph FEIGL präpariert, rettete sich jedoch jedes
Mal aus eigener Kraft und fand stets doch zu einem sehr harmonischen Klangbild.
Ergänzung 1 - 29.02.2008
Alastair McCALL hinterließ als Onegin einen zwiespältigen Eindruck. Über
weite Strecken scheint die Stimme tragfähig und klangsicher zu sein, dann
aber (z.B. bei der Rückgabe des Briefes) fällt sie wieder komplett ab.
Die letzte Szene, die sicherlich seine stärkste hätte werden können, wurde
zudem von den Folgen eines recht spektakulären Sturzes beim Abgang aus
der vorhergehenden Szene beeinflußt.
Asaaf
LEVITIM beeindruckte an diesem Abend nachhaltig als Saretzki.
Ergänzung 2
Am 10.04.2008 war endlich das Dirigentenglück hold. Mit Ludwig PFLANZ
am Pult erhält das Stück endlich eine wunderbare Dynamik. Sein z.T. recht
zackiger, aber nie militärisch anmutender Stil tut Tschaikowskys Werk
sehr gut, zumal hier sowohl Solisten als auch Orchester erlaubt wird,
in den richtigen Momenten dem Schwelgen in der wunderbaren Musik zu verfallen.
Ein Abend mit Seele eben.
Leider
war Carol WILSON über weite Strecken Tatjana nicht gewachsen. Im Spiel
anfangs viel zu neckisch, was dem eigentlich nachdenklichen Charakter
viel von seiner Würde nahm, erlahmten mit Fortschreiten des Abends auch
ihre stimmlichen Reserven hörbar. Schade. AHS
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