Eine
der Veränderungen, die der (halbe) Intendanzwechsel dem Theater Lübeck
beschert hat, ist eine publikumsorientierte Spielplangestaltung. Man scheint
emsig darum bemüht, den Theatergängern das zu bieten, was diese vermutlich
hören bzw. sehen wollen; bei den für die vergangene Spielzeit veröffentlichten
Auslastungszahlen ein dringend überfälliger Schritt.
Seit
dem letzten Oktoberwochenende gibt es nun eine neue Produktion von "Il
Trovatore". Eigentlich ein Selbstläufer, sollte man meinen… In puncto
Besetzung ist den Lübeckern jedenfalls Großartiges gelungen. Ein bis hin
zur Partie des alten Zigeuners gut gewähltes Ensemble bietet Verdi-Oper
per excellence.
Elena
PANKRATOVA, im Jahr 2004 als beeindruckende Senta in Frankfurt/M. zu erleben,
verlieh Leonora viel Selbstbewußtsein und Temperament. Ihr dunkeltimbrierter
Sopran besitzt viel Feuer und Strahlkraft, ist leisen Momenten ebenso
fähig wie zu dramatischen Ausbrüchen. Die Anlage Leonoras als selbstbewußte,
in ihren Handlungen autarke Persönlichkeit kam ihrem Bewegungsdrang entgegen
und rundete die Präsentation gelungen ab.
Auch
Azucena fand in der düster-feurigen Interpretation durch Veronika WALDNER
eine passende Entsprechung. Wenigen Sängerinnen gelingt es, sich so mühelos
über sämtliche Schubladen hinwegzusetzen und derart breitgefächert brillante
Interpretationen auf die Bühne zu bringen. Kurz, mit dem ihr eigenen Perfektionismus
gibt sie Azucena Gestalt zwischen Wahnsinn und Mutterliebe, ohne auch
nur für eine Sekunde ebenjene gesangliche Vollkommenheit aus den Augen
zu verlieren, für die sie ihr Publikum so liebt.
Der
Conte di Luna war in Gerard QUINNs Lübecker Repertoire längst überfällig
Der Bariton, bekanntermaßen ein Meister im eindringlichen Singen langer
Bögen und in nuancenreicher musikalischer Gestaltung, bot makellosen Verdi-Gesang
in überaus gefühlvoller Darbietung. Italienischer ist es kaum möglich.
Dazu war seine Partie mit dem einzig wirklich guten Regieeinfall der Produktion
bedacht (s.u.), was ihm die Möglichkeit gab, sein Talent zur spannenden
Interpretation zerrissener Charaktere voll zur Geltung zu bringen.
Manrico
ist stets eine Herausforderung für Tenöre, und es gibt Sänger, die dies
problemlos meistern. Mario ZHANG (9.) und Thomas RUUD (25.) gehören allerdings
nicht wirklich zu diesen. Beide hatten ihre guten, bisweilen sogar sehr
guten Momente, doch keinem von beiden gelang eine einwandfreie Charakterisierung.
Mario
Zhang ist bezüglich der Rollengestaltung insgesamt sicherlich der bessere
Interpret. Sein Manrico besitzt durchaus einen wandelbaren Charakter Doch
sein fast permanent im Forte gehaltener Gesang ist auf Dauer enervierend.
Merke, kaum variierende Lautstärke ist kein Mittel der Gestaltung. Im
Gegensatz dazu gelang Thomas Ruud genau dies hin und wieder, doch dafür
war sein Manrico als Person sterbenslangweilig und streckenweise ohne
jede Interaktion mit seinen Bühnenkollegen.
Andreas
HALLER hat allerspätestens seit dem Großinquisitor hörbar großes Vergnügen
an Verdis Baßpartien. Ferrando ist hier nicht allein ein souveräner Stichwortgeber,
sondern aktiver Teil der Handlung und das mit beeindruckender Stimmgewalt.
Die
Partie der Ines wurde von Sandra MAXHEIMER rollendeckend interpretiert.
Hier ist hörbar mehr möglich. Chul-Soo KIM gab dem bereits genannten alten
Zigeuner an beiden Abenden eine kräftige Stimme. João CARRERA (9.) war
als Ruiz und als Bote (sic!) eigentlich überbesetzt, nutzte in diesen
kleinen Solopartien aber erneut die Gelegenheit, meisterlich auf seine
gesanglichen Fähigkeiten gerade im italienischen Fach aufmerksam zu machen.
Aber auch am 25. waren diese Partien mit Kyung-Jin JANG (Ruiz) und Carrera
als Bote ausgezeichnet besetzt. Ersterer ließ ob seiner hervorragenden
gesanglichen Fähigkeiten aufhorchen.
CHOR
und EXTRA-CHOR waren extrem gut disponiert. Hier gebührt dem Chordirektor
Joseph FEIGL und seinen Damen wie Herren ein dickes Lob für die gut geprobte
und eindrucksvoll präsentierte Leistung.
Das
PHILHARMONISCHE ORCHESTER unter der Leitung von Roman BROGLI-SACHER hatte
am 9. eindeutig einen besseren Abend, was aber durchaus an einem engagierten
Dirigat durch den GMD gelegen haben könnte. Am 25. schleppte es streckenweise
doch sehr, und es kam zu mittleren Irritationen zwischen Bühne und Graben.
Sauber gespielt wurde an beiden Abend, aber noch ein Quentchen mehr Engagement
wäre wünschenswert.
Die
Inszenierung (Jakob PETERS-MESSER) lebt vom bewährten "(fast) leere Bühne"-Prinzip.
Bühnenbeherrschend ist die meiste Zeit über ein Käfig, der laut Programmheft
"ein ganz lapidares Zeichen für Gewalt und Gefangensein ist" (Bühne: Markus
MEYER). Sehr in Mode ist, Ideen wiederaufzugreifen. So gab es im ersten
Teil des 3. Aktes das amüsante Wiedersehen mit der "(Chor) Formation Schildkröte";
bereits in der alten Hamburger Inszenierung sehr geliebt (Danke!).
Man
bediente zudem bekannter Accessoires' wie z.B. großer buntkarierter Einkaufstaschen
für Azucenas Habe. Beliebt ist auch, Elemente der Popkultur einzuflechten.
Ob Absicht oder nicht, Outfit wie Frisur Lunas erinnerten stark an die
Figur Sergej Varsjinskij aus der populären skandinavischen Krimiserie
"Der Adler". Ganz allgemein zeigten die Kostüme (Sven BINDSEIL) eine Bandbreite
quer durch die Zeiten und reichten von extrem kleidsam (Luna) bis zu albern
(Manrico mit weißen Schlaghosen).
Regelmäßig
kann man in Programmheften über die Verworrenheit von Verdis Geschichte
um Leonora, Manrico und Luna lesen. Ebenso regelmäßig fragt man sich,
weshalb Regisseure dann dazu neigen, die angeblich so schwerverständliche
Handlung mittels Doppelgängern und zusätzlicher Personen noch komplizierter
zu machen.
Gegenüber
den Lübecker Verdi-Interpretationen der vergangenen Jahre ist die aktuelle
Produktion definitiv als Fortschritt zu sehen. Der wohl stärkste Moment
fand sich in der Idee, Luna zu Beginn des 4. Aktes betrunken und damit
nicht mehr vollständig Herr seiner Sinne auftreten zu lassen. Gerard Quinn
brachte hier die versteckte Verzweiflung der Figur vollendet tragikkomisch
zum Ausdruck, was eine völlig neue Sichtweise eröffnete.
Leider
blieb das Theater an diesen Novemberabenden relativ leer. Daher sei gesagt:
liebe Lübecker, Sie können sich wieder in eine Verdi-Inszenierung an Ihrem
Theater trauen. Trotz zeitweise herabregnender Papiere und der einen oder
anderen merkwürdig anmutenden Idee wäre dies schon allein aus musikalischen
Gründen ein lohnenswerter Besuch. AHS
P.S.
Beide Abende waren übrigens m.E. komplett microportfrei. *LOL*
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