Das
Theater Lübeck setzte mit dem "Otello" seine (inoffizielle) "created by
Verdi - destroyed by Kaegi"-Reihe fort. Dieter KAEGI zeigte erneut, daß
er offensichtlich nicht viel davon hält, seine Inszenierungen in irgendeiner
wie auch immer gearteten Form auf den Inhalt abzustimmen. Das ganze spielt
sich in einem Boxring ab, in dem zu Beginn Cassio und Rodrigo boxen, und
Jago als Ringrichter fungiert. Otello ist dann der Box-Promoter. Das Konzept
geht komplett an sämtlichem Sinn vorbei. Welches Interesse hat Otello
an einem Kampf zwischen Cassio und Rodrigo? Sollte das nicht viel eher
bei Jago liegen, der übrigens auch als Ringrichter nicht unfair wirkt?
Außerdem sah der Verlierer Rodrigo nicht unbedingt aus wie ein "Musulmano"...
Überhaupt
will mir nicht einleuchten, weshalb es im Boxmilieu spielt. Sicher ist
die Oper ein einziger Kampf, nur wissen bei einem Boxkampf doch beide
Parteien, daß sie miteinander kämpfen, und solches findet im Otello nur
einmal statt - und so wichtig ist dieser eine Kampf dann auch nicht, als
daß man die ganze Regie darauf ausrichten kann. Der wichtige Kampf Jago/Otello
ist doch eigentlich nur ein einseitiger, von dem Otello nichts weiß. Wenn
dann später Jago und Cassio im dritten Akt noch mit Taschentüchern durch
die Gegend schmeißen, wirkt das ganze wie ein verzweifelter Versuch, ein
Alibi-Symbol reinzuprügeln. Auch die Eifersucht Otellos auf seine Gattin
ist vollkommen unverständlich, so wirken beide beim Liebesduett nicht
wirklich so, als ob irgendeiner von beiden den anderen überhaupt kennt.
Die eventuelle diesbezügliche Deutung des Klammerns aufgrund seiner Außenseiterstellung,
kam hier nicht in Betracht. Ich amüsiere mich eigentlich nur noch über
Kaegis verhunzten Werke - die kann ich einfach nicht ernst nehmen... Für
die passende Ausstattung sorgte wieder Stefanie PASTERKAMP.
Als
Jago beeindruckte einmal mehr Gerard QUINN, der der Rolle ein unglaublich
hinterlistiges Profil verlieh. Er ist mit seinem lyrisch-noblen Timbre
nicht unbedingt ein klassischer böser Verdi-Bariton, aber er versteht
es meisterhaft, seine Rollen extrem verschlagen anzulegen, so daß sie
wunderbar hintergründig und damit eigentlich noch böser wirken, als bei
den Brüllern, die schon fast Schaum vorm Mund haben...
Während
Quinn einen nun vermutlich auch mit dem Vortrag des Telefonbuchs von Peking
in der original finnischen Übersetzung mit lappländischem Dialekt rückwärts
mitreißen würde, singt Mario DIAZ (Otello) eigentlich genau so - total
unverständlich und sinnlos. Er klingt immer, als würden auf seinen Stimmbändern
tonnenschwere Gewichte lasten, die er irgendwie hochstemmen muß, und dabei
noch stets auf der vergeblichen Suche nach den richtigen Tönen ist, die
in der Form wahrscheinlich in keinem noch so modernen Werk vorkommen -
und es hoffentlich niemals tun. Das ewige Forcieren nervt einfach. Zugegebenermaßen
war er im piano marginal erträglicher, aber dennoch bot er zum wiederholten
Male eine katastrophale Leistung.
Die
für Carol Wilson als Desdemona eingesprungene Mary Ann KRUGER konnte durchaus
für sich einnehmen. Sie zeichnete eine grundsolides, zwischen Stärke und
Demut schwankendes Portrait, wirkte aber ab und an noch ein wenig schüchtern.
Patrick
BUSERT (Cassio) und Joao CARRERA (Rodrigo) machten als Boxer eine recht
gute Figur (allerdings wirkte die Choreographie der Box-Szene unfreiwillig
komisch, da sie immer im Abstand von zwei Metern in einem Kreis um einander
rumliefen und sich gegenseitig auf die Fäuste hauten...). Gesanglich waren
sie beide erwartungsgemäß auf sehr hohem Niveau und strahlten wieder pure
Freude am Gesang aus. Das gilt auf für den würdevollen Lodovico von Andreas
HALLER und den wiederholt aufhorchen lassenden Andreas BAUMEISTER (Montano).
Allen vieren (und natürlich auch Gerard Quinn) wünsche ich interessante
Rollen im in der Presse avisierten "Ring" - dessen Zeitpunkt nebenbei
bemerkt wohl nicht so clever ist, da Hamburg ja auch gerade fleißig schmiedet...
Sandra MAXHEIMER fiel als Emilia nicht weiter auf.
Am
Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS DER HANSESTADT LÜBECK war Roman BROGLI-SACHER
schon wieder nicht in der Lage, der Musik Ausdruck zu verleihen. Die langsamen
Passagen wirkten alle langweilig, die schnellen undifferenziert laut und
auf die triste Begleitung des Racheschwurduetts (eines der wenigen Highlights
dieser Oper) hätte man auch problemlos den "Vogelfänger" singen können.
In sehr guter Verfassung zeigte sich der HAUS- und EXTRA-CHOR unter der
Leitung von Joseph FEIGL. WFS
P.S.:
Bleibt noch die Frage, wann das Haus gedenkt, den Verdi-Schiller-Zyklus
zu vollenden - es fehlt noch "Luisa Miller" (vielleicht dann nächste Saison
mit einem fähigeren Regisseur???).
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