"What
have they done, sweet Jesus, what have they done?" schoß es mir, in leichter
Abwandlung von Jean Valjeans Aufschrei in "Les Mis" während des Abends
mehrfach durch den Kopf. Ich bin eine große Verehrerin des Filmes mit
William Hurt und Raul Julia, ich habe den Roman von Manuel Puig mehr als
einmal gelesen, und grundsätzlich habe ich auch nichts gegen John Kanders
und Fred Ebbs Musical-Version, auch wenn mir persönlich mißfällt, daß
Valentin mit Molina nur schläft, damit letzterer Informationen zu Valentins
Kampfgenossen bringt, da dies die Beziehung zwischen beiden im Gegensatz
zu Roman und Film deutlich ändert. Aber was in Lübeck aus dem Stoff gemacht
wurde, läßt schmerzlich alles vermissen, was ihn ausmacht.
Ein
Stück über Folter auf die Bühne zu bringen, sollte nicht heißen, daß man
das Publikum foltert mit schlechter Regie, nicht nachvollziehbarem Bühnenbild
sowie indiskutablen darstellerischen und gesanglichen Leistungen. Das
Stück sollte an die Nieren gehen, nicht auf die Nerven.
Was
Pascale CHEVROTON, die sowohl für Regie als auch Choreographie verantwortlich
zeichnete, für diese Produktion prädestinierte, ist nicht nachzuvollziehen.
Die Choreographie war, wie dies schon bei früheren Arbeiten von ihr festzustellen
war, ungelenk. Die Regie war nicht einmal das. Da fand zwischen Molina
und Valentin nichts statt, man fragte sich verzweifelt, was die beiden
eigentlich verbindet. Die Szene, in welcher Valentin vergiftet wird, seine
letzte Würde verliert und sich von Molina pflegen lassen muß, ist vollkommen
verschenkt.
Warum
das Ganze in einer Art Tunnel spielt, und die Zelle der beiden Männer
vor der Pause anders aussieht als danach (Bühnenbild Jürgen KIRNER), erschließt
sich auch nicht. Gerade im ersten Akt, in welchem die Zelle am rechten
Bühnenrand ist, scheint der einzige Grund dafür zu sein, daß man Platz
für Tanzszenen benötigt. Weder Valentins Freundin Martha, noch Molinas
Mutter tauchen als Personen auf. Die dauernde Anwesenheit von Angst, Folter
und Verzweiflung wird zu keinem Zeitpunkt greifbar. Immerhin kann man
über die Kostüme von Tanja LIEBERMANN nicht meckern.
Das
Stück steht und fällt mit der Besetzung der beiden Hauptrollen. In diesem
Fall fällt es. Tilmann v. BLOMBERG scheint mit dem Molina nichts anfangen
zu können. Er bleibt blaß, liegt stimmlich häufig daneben und schafft
es nicht eine Sekunde, Mitgefühl mit dieser Figur zu wecken oder eine
Identifikation zu ermöglichen. Daß Molina dadurch Größe erlangt, daß er
seine Phantasien nicht einsperren läßt, scheint weder Regisseurin noch
Darsteller bewußt zu sein.
Thomas
CHRIST als Valentin, über dessen gesangliche Leistung man lieber den Mantel
des Schweigens breiten sollte, spielt die Rolle als geistlosen Prolet.
Warum Molina sich in diesen Kerl verlieben sollte, kann nur damit erklärt
werden, daß gerade kein anderer Mann verfügbar war. Ein von seinen Idealen
überzeugter Revolutionär sieht anders aus. Beide haben zudem erhebliche
Probleme, die Dialoge sauber über die Bühne zu bringen.
Aurora,
die Spinnenfrau, wurde von Vasiliki ROUSSI verkörpert. Ihre gesangliche,
tänzerische und darstellerische Leistung war von derart, daß man sie zwei
Sekunden später nicht mehr erinnerte. Warum sich Molina ausgerechnet diese
Frau als Flucht aus der tristen Gefängniszelle erträumt, bleibt sein Geheimnis.
Der Gefängnisdirektor, hier mit einer Frau (Andrea JOLLY) besetzt, ließ
jegliche Gefährlichkeit vermissen, hier sprach nur jemand einfach den
Text, meist in einer Proszeniumsloge plaziert.
Und
wenn man glaubt, es könne nicht noch schlimmer werden, passiert genau
das. Gabriel, der von Molina angebetete Kellner, wird von Kai BRONISCH
quasi hingerichtet. Ich habe selten auf einer professionellen Bühne jemanden
so neben der vorgegebenen Tonhöhe singen gehört. Die beiden Gefängnisaufseher
Esteban (Timo KLEIN) und Marcos (Arno MAUBACH) blieben ebenso blaß wie
die restlichen Gefangenen bzw. Auroras Männer. Der HERRENCHOR (Leitung
Joseph FEIGL) stieg ein ums andere Mal aus.
Einzig
positiver Aspekt des Abends war das PHILHARMONISCHE ORCHESTER unter Leiter
von Ludwig PFLANZ, die unangefochten von dem, was da auf der Bühne vor
sich ging bzw. nicht vor sich ging, die teilweise sehr schmissigen Melodien
auf hohem Niveau spielten und eine Ahnung weckten, was hätte sein können;
daß beispielsweise Valentins große Solo-Nummer eigentlich eine mitreißende
Revolutionshymne ist... Aber, ach, es sollte nicht sein. MK
P.S.:
Ich bin davon überzeugt, daß die Erstbesetzung des Molina Steffen Kubach
der Figur darstellerisches Profil und vor allem Würde gegeben hätte, zumal
er die Rolle auch hätte SINGEN können, aber ich sehe mich ob des obigen
Desasters nicht in der Lage, mich davon zu überzeugen und mich dieser
Produktion noch einmal auszusetzen.
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