Das
Theater Lübeck gönnt sich zur Spielzeiteröffnung "Lohengrin" und landet
szenisch und gesanglich damit auf großartigem Niveau.
Es
ist leider nicht nachzuvollziehen, was einige - wenige - Buhrufer an der
Produktion auszusetzen hatten. Didier VON ORLOWSKY hat eine Regie auf
die Bühne gebracht, bei der man sich an kleinen, unterschwelligen Boshaftigkeiten
erfreuen kann (der sich unter den Brabantern langsam breit machende Militarismus
faschistischer Couleur, König Heinrich, der gegen Ende völlig unwichtig
und daher am hinteren Bühnenrand plaziert wird, der allgegenwärtige Pressephotograph,
die Bierhallenatmosphäre zu Beginn der Schlußszene), die einem jedoch
zu keiner Sekunde mit dem Holzhammer etwas aufdrängt. Hier hat ein Regisseur
endlich einmal den Mut, der Intelligenz des Publikums zu vertrauen.
Lohengrin
könnte in der Gesellschaft die Menschlichkeit, nach der er sucht, im Leben
nicht finden. Er muß scheitern, wie auch Brabant scheitern wird. Wenn
am Schluß Gottfried (André JANSSEN mit viel Präsenz) als schwersttraumatisierter
Teenager (welcher Junge würde es ohne weiteres wegstecken, als Schwan
leben zu müssen?) zurückkehrt, bricht die Welt zusammen, die Brabanter
stehen ohne Zukunft in ihrer Unterwäsche da. Eine Lösung oder gar Erlösung
kann dieser Junge keinesfalls sein.
Das
Ganze spielt von den sehr kleidsamen Kostümen (Angelika RIECK) her in
den dreißiger Jahren im Einheitsbühnenbild einer Mehrzweckhalle mit Bühne
(Bühnenbild Haitger M. BÖKEN). Diese Bühne dient sehr gut dazu, wenn sich
Telramund bei der Szene zwischen Ortrud und Elsa versteckt, ebenso verleiht
sie dem Auftritt Lohengrins aus dem auf die hintere Wand mit Leuchtdioden
angedeuteten Schwan etwas sehr theatralisches. Dabei wirkt die Inszenierung
zu keinem Zeitpunkt unästhetisch, auch wenn Lohengrins Kostüm ein wenig
zusammengesucht wirkt, als habe er schnell das gegriffen, was da war,
um Elsa zu Hilfe zu eilen.
Scott
MACALLISTER singt einen eher lyrischen Lohengrin, der trotzdem in keiner
Sekunde gezwungen ist, die Stimme zu forcieren. Eine wunderschön phrasierte
Gralserzählung ist der Höhepunkt einer Leistung, die man nicht alle Tage
hört. Auch darstellerisch macht er den Fremdkörper, den Lohengrin in dieser
Regie in Brabant ist, sehr deutlich. Marion AMMANN läßt ihre Stimme auch
eher lyrisch strömen, was ihr einen mädchenhaften Klang gibt. Wenn es
dann einen dramatischen Ausbruch gibt, läßt sich feststellen, welche Volumen
eigentlich vorhanden ist. Ein paar Unsicherheiten zu Beginn waren sicherlich
der Premierennervosität zuzuschreiben. Wozu diese Elsa allerdings einen
Streiter benötigt, wenn sie das Schwert professioneller hält als die beiden
kämpfenden Herren, fragt man sich schon.
Die
Ortrud von Veronika WALDNER beherrscht die Szene, sobald sie auftritt.
Mit einer großen Bühnenpräsenz gesegnet sehen ihr sowohl die leisen Töne,
mit denen sie Gift in die Ohren von Ehemann und Elsa träufelt, als auch
die dramatischen Ausbrüche zur Verfügung, ohne daß es hörbare Grenzen
gibt. Sie übertrifft damit noch ihre Brangäne und ihren Octavian an Wirkung,
die sie in den letzten Jahren in Lübeck sang. Anton KEREMIDTCHIEV als
Telramund könnte noch etwas mehr aus sich herausgehen, ein paar mehr Nuancen
in Phrasierung und Darstellung zeigen. Die Stimme für die Partie hat er,
die Ausstrahlung auch. Wenn er im Unterhemd zu Beginn des zweiten Aktes
seinen Frust in Alkohol ersäuft, kann er fast Mitleid erwecken.
Gerade
bei Wagner schafft es Andreas HALLER (König Heinrich) seinen ansonsten
manchmal etwas schwer anspringende Baß rund und ausgeglichen klingen zu
lassen, der auch vor exponierten Tönen nicht zurückschrecken muß. Darstellerisch
zeigt er die Autorität einer sich dem Ende nährenden Ära. Gerard QUINN,
eine stimmliche Luxusbesetzung als Heerrufer, den er mit unendlichem Atem
und Legato singt, hat sichtliches Vergnügen an Orlowskys Zeichnung der
Rolle als staubtrockener Bürokrat, der sich krampfhaft an seiner Aktentasche
festklammert.
Die
vier Edlen (Joao CARRERA, Mark McCONNELL, Yong-Ho CHOI und Han-Jun KWON)
hätten auch einem größeren Hause alle Ehre gemacht, die Knaben (Sonja
FREITAG, Therese MEINIG, Ulrike HILLER, Birgit MACZIEY) waren nicht ganz
auf diesem Niveau, aber immer noch auf einem hohen.
Der
CHOR und EXTRACHOR (Leitung Joseph FEIGL) hatten einen sehr guten Abend,
ein besonderes Lob muß man den Herren aussprechen, die viel Engagement
und Stimmstärke zeigten.
Einen
Wermutstropfen gibt es allerdings zu beklagen. Das Dirigat von Roman BROGLI-SACHER
vermochte nicht zu fesseln. Im Vorspiel suchte man vergebens nach Akzenten,
statt dessen dehnte es sich spannungslos in die Ewigkeit. Daß meine Gedanken
schon nach knapp zwei Minuten nur sehr schwer am Abschweifen gehindert
werden konnten, spricht nicht für dieses Dirigat. Immerhin blieb Brogli-Sacher
diesmal einigermaßen sängerfreundlich, aber zu faszinieren wußte diese
Leistung nicht. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER schlug sich wacker, abgesehen
von den Trompeten, bei denen doch heftige Wackler zu verzeichnen waren.
Trotzdem,
ein großer Abend für das Lübecker Theater. Wir sind mit Sicherheit nicht
das letzte Mal in dieser Produktion gewesen. MK
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