Es
ist etwas mehr als 6 Jahre und 205 Aufführungen her, daß ich nach einem
scheinbar nicht enden wollenden "Wozzeck" an der Hamburgischen Staatsoper
beschlossen habe, mir dieses Stück nicht mehr antun zu wollen. Und ganz
ehrlich wollte ich es auch nicht wirklich, als ich mich dazu entschloß,
mir das in Lübeck anzuschauen. Doch da stand ein verlockender Name auf
der Besetzungsliste: Vincent LE TEXIER, der mich schon als Rasputin (Rautavaara)
und König Phillip ("Don Carlo") mitriß...
Na
ja, eigentlich waren es ja zwei, nämlich auch Marc ADAM bewies in seinen
letzten Produktionen, daß er ein herausragender Regisseur ist (zu seiner
Qualität als Intendant wurde hier ja schon so einiges - wie ich finde
- Wahres geschrieben...), der einfach ein Gespür sowohl für die Musik
als auch für den Stoff hat und im Prinzip nichts anderes macht, als das
Stück aus dem Gesamt-Werk heraus zu sehen. In der minimalistischen Ausstattung
von Jean BAUER und den zur Grundstimmung passenden farblos-fahlen Kostümen
(bis auf Maries und des Tambourmajors) von Pierre ALBERT, konnte nichts
ablenken von der beeindruckenden Personenführung.
Der
Mittelpunkt der Bühne ist eine große Wand, die mal ein Stück hochgezogen
wird (in den Szenen, in denen man vielleicht einen größeren Einblick in
Wozzecks wirres Seelenleben erhält), oder herabgelassen wird (wenn etwas
Reales passiert). Das garantiert einen reibungslosen Ablauf der schnell
aufeinanderfolgenden Szenen. Immer wieder gelingen Adam und seinem Team
packende Bilder, so z.B. in der Wirtshausszene, wo er Wozzeck in einem
Wassergraben, der die Spielfläche abgrenzt, quasi als böse Vorahnung auf
das, was kommen wird, in seinem Wahn agieren und dann noch eine Projektion
von Wasser auf die Wand fallen läßt oder aber die schwankenden Lampen
in der Szene beim Doktor. Überhaupt schafft Adam das Kunststück, einen
wirklich darüber nachdenken zu lassen, was real, was Fiktion oder Überspitzung
der Realität ist, die sich in Wozzecks Hirn zusammenbraut.
All
dies zu verkörpern gelingt erwähntem Bass-Bariton Vincent Le Texier als
Wozzeck in höchstem Maße. Unter schonungslosem Einsatz seines faszinierenden,
hörbar in dieser Musik geschulten, Organs, dem sowohl die baßschwarzen
Tiefen, als auch die heldenbaritonalen Höhen gleichermaßen zur Verfügung
stehen, bringt er einen zutiefst ergreifenden, berührenden, erschütternden,
verzweifelten, wahnsinnigen, aber doch irgendwo menschlichen, kurzum für
mich idealen Wozzeck auf die Bühne, der stets dem Gesang (!!!) verpflichtet
ist, niemals schreit oder nur deklamiert und außerdem ein kongenialer
Schauspieler ist. Dazu kam eine verstörend reale Identifizierung mit dem
Charakter, die mir mehr als einmal kalte Schauer den Rücken runterjagen
ließen und meine Kehle zuschnürten (und das bei diesem Werk - das will
was heißen!).
Seine
Marie lag bei Nataschy PETRINSKY in soliden Händen, wenngleich sie mir
nicht über die Maßen auffiel. Ihre Stimme hatte einen kleinen Hang, zu
nerven, da stets irgendetwas mitschwang. Veronika WALDNER sang eine intensive
Margret.
Bei
Patrick BUSERT war der (imaginäre???) Freund Wozzecks Andres sehr gut
aufgehoben. Er gestaltete ihn mit seiner bekannt großen Spiel- und Sangesfreude.
Schade, daß die Rolle nur so klein ist, aber das sind ja eh alle bis auf
die Titelfigur... Er wäre sicherlich auch ein toller Tambourmajor gewesen?
Aber der wurde Mario DIAZ angetragen, dessen ohnehin schon total kaputte
Stimme immer katastrophaler wird. Diese wird vermutlich bald in der Kniekehle
gebildet, so tief sitzt sie, von den scheppernden Höhen mal ganz zu schweigen.
Da ist wohl nichts mehr zu retten.
Andreas
HALLER sang den Doktor mit dem richtigen Gespür für Skurrilität, übereifrigen
Enthusiasmus und Pragmatik und blieb dabei doch noch irgendwo sympathisch.
Der Hauptmann von Matthias GRÄTZEL (auch eine schöne Rolle für Busert...)
war mir persönlich zu keifend und herrisch. Mir fehlten die selbstironische
Distanz und die Zwischentöne.
In
den kleineren Nebenrollen glänzten Andreas BAUMEISTER als 1., Steffen
KUBACH als 2. Handwerksbursch und Enrico-Adrian RADU als Narr, der auch
in einer der anderen Tenorrollen hätte reüssieren können.
Leider
wurde das hohe musikalische Niveau von Roman BROGLI-SACHER am Pult des
ORCHESTERs nicht gehalten. Wenngleich ich schon mal spannungslosere Dirigate
von ihm hören mußte (vielleicht wurde gerade dieses komplexe Stück öfter
oder intensiver geprobt), schien über weite Strecken der Elan und die
Intensität im Orchester zu fehlen. Dazu kam, daß er sehr (und wie so)
oft die Sänger eiskalt zudeckte, so daß diese gar nicht mehr zu hören
waren und auch sonst bei den lauten Passagen ziemlich draufdreschen ließ,
so daß kaum Platz für Nuancen war. Der CHOR schlug sich weit mehr als
wacker. Etwas unkoordiniert wirkten hingegen die Majoretten vom "GKG SILBERMÖVE
LÜBECK E. V.".
Trotz
der Abstriche, die ich beim Dirigat und beim Tambourmajor machen muß,
bleibt für mich ein tiefer Eindruck (v.a. wegen Le Texier und Adam), den
ich nicht so schnell vergessen werde und die mich ziemlich verwirrende
Erkenntnis, daß ich u.U. (evtl. bei einem anderen Dirigenten) sogar sowas
wie einen Zugang zu diesem Werk finden könnte. WFS
P.S.:
Wenn man schon deutsche Opern übertiteln muß, was in diesem Fall nicht
nötig war, dann sollte man doch VOR der Vorstellung überprüfen, ob auch
wirklich alle drei Zeilen auf den recht schmalen Balken passen und dieses
nicht erst nachjustieren. Sehr scharf war es nebenbei bemerkt auch nicht...
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