Die
gute Nachricht ist, auch Dieter KAEGI kann sich steigern, die schlechte,
daß das nicht unbedingt positiv zu sehen ist.
Schlaf
ist keine Emotion, und so kann man durchaus behaupten, daß die neue Regiearbeit
des Schweizers keinerlei Emotionen weckte. Es ist ein langweiliges Stückwerk
aus verschiedenen Ideen, die man bereits woanders (meist besser) gesehen
hat – z.T. bei Kaegi selbst, z.T. bei anderen – und die meist in keinem
Bezug zu Gounods Oper stehen.
Schade,
denn die eine oder andere Idee war durchaus interessant. Die Doppelung
der Figur Faust selbst z.B. oder die Tatsache, daß Faust eigentlich nur
in sich selbst verliebt ist, stachen aus dem Recyclingwust hervor.
Das
Ganze spielte, in einer Bahnhofshalle, die Kaegi und seine Ausstatterin
Stefanie PASTERKAMP wahrscheinlich aus dem seit Jahren im Umbau befindlichen
Lübecker Hauptbahnhof recycelt hatten. Eine Bahnhofshalle in der Nachkriegszeit,
in der sich zufällig Leute anscheinend auf den nächsten Zug wartend treffen,
um plötzlich und überraschend in die Geschichte um Faust und Margarethe
hineingezogen werden.
Ansonsten
gab es „Vin ou biere“ mit Chor und Statisten in der üblichen Hans-Neuenfels-inszeniert-Sado-Maso-Manier
(allerdings mehr gewollt als gekonnt), Marthe Schwerdtlein, die ihr Geld
als Klofrau verdiente, einen Valentin mit chronischem Stigmatismus (mehrfach
brechen bei ihm Jesus Wundmale auf), Siebel als Pimpf mit Trommel in den
Krieg ziehend, Margarethe, die wohl irgendwie an Maria erinnern sollte,
und eine Handvoll Chor-Skinheads (in der Nachkriegszeit???), die in der
Szene, in der eigentlich die Soldaten aus dem Krieg heimkehren, ein paar
Chor-Biedermänner mittels Baseballschlägern und anderen Waffen verprügelten
bzw. bedrohten.
Warum?
- eine Frage, die die Zuschauer den ganzen Abend nicht losließ. Zumindest
die, die bis zum Schluß geblieben waren, denn die Fluchtquote nach der
Pause war zumindest im Parkett (die Ränge konnten wir nicht einsehen)
für Lübecker Verhältnisse relativ hoch.
Das
Tenorglück, das uns seit Dezember hold war, mußte einmal enden. Daß es
allerdings einen solchen Einbruch erleiden mußte, war nicht zu erwarten
gewesen. Andrew FRIEDHOFF als junger Faust kann getrost als denkbar schlechteste
Besetzung bezeichnen. Es kam nicht ein einziger Spitzenton, wo die Stimme
nicht krächzte, meckerte sie.
Nun,
ganz verschwand unser Tenorglück dann doch nicht. Joe TURPIN bescherte
dem Publikum zum Beginn am Beginn des 1. Aktes wohlgesetzte Töne. Auch
wenn es ihm sicher schwergefallen wäre, den gesamten Abend sängerisch
allein zu bestreiten, wäre es doch eine sehr viel angenehmere Besetzung
gewesen. Hinzu kam, daß er, in jeder gemeinsamen Szene „seinem“ jüngeren
Ich auch in Bühnenpräsenz und Spiel um Längen voraus war.
Daß
die Oper in Lübeck als „Margarethe (Faust)“ gespielt wird, war an diesem
Abend gerechtfertigt. Chantal MATHIAS präsentierte sich in exzellenter
Form, man könnte sagen, die Marguerite ist ihr auf die Stimmbänder geschrieben.
Die Partie paßt genau auf den derzeitigen Entwicklungsstand der Stimme,
die derzeit in grandioser Form ist. Dankenswerterweise machte die Sängerin
„ihr Ding“ und agierte unangefochten auch in den sinnlosesten Regiemomenten
(Marguerite gebiert im Traum den skelettierten Kopf eines Ziegenbocks
(?)).
Annette
PFEIFFER stand als Siebel dieser großartigen Leistung in nichts nach.
Daß sie auf der Bühne glaubhaft ein Junge sein kann, wußte man bereits.
Ihre Stimme durchmißt die Rolle ohne Mühe und wertet sie stimmlich und
darstellerisch deutlich auf. Weder das eine noch das andere kann man von
der Marthe von Inna KALININA behaupten.
Ganz
glücklich konnte man mit Andreas HALLER als Mephisto nicht werden. Diese
Partie scheint - zumindest streckenweise – seine Sache nicht zu sein.
Das Ständchen war wunderbar sardonisch gelungen, bei dem Rest der Partie
hatte man das Gefühl, daß sie weder dem Temperament des Sängers entspricht,
noch daß die Stimme für dieses Fach beweglich genug ist. Ein bißchen böser
darf es zudem dann doch sein – und die Hölle ist der Ort, an dem solche
Kombinationen wie Mephistos Sakko und Hose geschneidert werden...
Eindeutig
verschenkt wurde vom Regisseur das schauspielerische Potential, das bekanntermaßen
in Gerard QUINN steckt. Anstatt dem Bariton Raum für die Interpretation
eines religiösen Eiferers, der allen Geboten zum Trotz voll Freude in
den Krieg zieht, und für den Vergebung ein Fremdwort ist, machte Dieter
Kaegi aus Valentin einen Mystiker mit Kreuzigungswahn. Glücklicherweise
schafft es der Sänger, mit einer klug phrasierten, stimmlich immer sicheren
Leistung den Teil des Publikums zu wecken, der ob der szenischen Fadesse
bereits am Einschlummern war.
Übel
getroffen hatte es auch Marco STELLA, der als Wagner in einem überdimensionierten
Krinolinenkleid herumlaufen mußte, wobei er zu Beginn seines Auftritts
auch noch von einer albernen Maske beim Singen behindert wurde.
Der
CHOR (Leitung: Joseph FEIGL) hat sich, unterstützt vom EXTRACHOR, an diesem
Abend nicht Ruhm bekleckert. Es war schön, daß den Damen und Herren das
Herumtollen im Sado-Maso-Outfit so gut gefallen, doch Sinn eines Chorstücks
ist es, am Anfang, am Ende und in der Mitte desselben zusammen zu sein.
Die
Leitung des Abends durch Roman BROGLI-SACHER störte diesmal nicht weiter.
Etwas inspirierter und leidenschaftlicher könnte die Musik allerdings
klingen. Ansonsten setzt sich noch das alte Vorurteil weiter fort, Gounod
sei kitschig und langweilig. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER spielte auf
hohem Niveau ohne Patzer. MK/AHS
P.S.
Daß die von Gerard Quinn gesungene Figur völlig überflüssig, weil tot
und in der letzten Szene gar nicht mehr vorkommend, zum Opernfinale auf
der Bühne rumliegen muß und entkleidet wird, hatten wir übrigens gerade
erst in den „Masnadieri“ des gleichen Regisseurs gehabt. „Positiv“ war,
daß man sich bei Valentin keine Sorgen wegen einer baritonalen Erkältung
machen mußte, da er nur seiner Schuhe und Socken verlustig ging, das Oberhemd
diesmal anbehalten durfte.
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