Die
Vorweihnachtszeit beschert den Theaterbesuchern in Deutschland stets das
Vergnügen, eine große Anzahl von Kindern jeder Altersstufe neben sich
im Zuschauerraum zu haben. Traditionell werden diese nämlich von ihren
Eltern zumindest einmal im Jahr, eben zu dieser besonderen Zeit, in eine
kulturelle Veranstaltung verschleppt.
Eigentlich
ist dagegen nichts einzuwenden, insbesondere wenn die Kinder wie an diesem
Abend in Lübeck gespannt auf ihren Plätzen sitzen und interessiert der
Handlung folgen. Besagte Tradition beinhaltet allerdings, daß man nicht
irgendein Stück besucht, sondern eines für Kinder. Meist fällt die Wahl
auf „Hänsel und Gretel“. Der Grund, weshalb seit Jahrzehnten bedauernswerten,
kleinen Kinder die ohnehin schon schleichende Zeit vor dem Fest mittels
dieses musikalisch faden Märchen verlängert wird, blieb uns bisher verborgen.
Die
Idee, dem Nachwuchs die Musikform Oper näherzubringen, funktioniert unserer
Auffassung nach mittels eines echten Verdi-Schockers oder gar Puccinis
„Tosca“ wesentlich besser. Da passiert nämlich was, und unheimlicher als
die Story um zwei Kinder, die im Wald verlaufen und am Ende die Hexe verbrennen,
ist „Rigoletto“ auch nicht.
Nicht
nur Kinder sind neugierig, und so nutzten wir einen der letzten freien
Abende vor dem Weihnachtsfest, um herausfinden, wie das Lübecker Theater
sich mit Humperdincks Werk auseinandersetzt.
Nach
der langen Vorrede sei das Fazit an den Anfang gestellt: Besser kann man
es eigentlich nicht machen!
Regisseur
Michael SCHEIDL
brachte eine flotte Deutung auf die Bühne, die er unauffällig mit einer
neuen Sichtweise (siehe Programmheft) würzte, ohne die Handlung übertrieben
zu deuten oder ihr einen überzeichnet modernen Rahmen zu geben. Nur manchmal
standen die Sänger etwas hilflos wirkend an der Rampe, wenn sie eigentlich
„singen und springen“ sollten, doch diese wenigen Momente kann man getrost
vernachlässigen. Überwiegend gab es hübsche Einfälle, ein Teddy wurde
ebenfalls in einen Pfefferkuchen verwandelt, die Besen der Hexe sind äußerst
tanzwütig, und der Wald wirkt geradezu fantasymäßig magisch.
Nichts
an dieser Produktion war aufdringlich. Alles fügte sich einen gut durchdachten
Gesamtkontext. In der Ausstattung von Michael GODEN durfte das Märchen
ein Märchen sein. Man bestaunte wunderschöne, teils sehr farbige Kostüme
auf einer Bühne, auf der der Wald erkennbar ein Wald ist und das Hexenhaus
ein Hexenhaus.
Dank
Frank Maximillian HUBEs engagierter Leitung und dem so exakten wie animierten
Spiel der LÜBECKER PHILHARMONIKER wurde der Abend zudem auf dem musikalischen
Sektor bedeutend kurzweiliger als erwartet. Es wagnerte gar heftig aus
dem Graben, und es machte Spaß nebenbei die musikalische Verwandtschaft
zu Opern wie „Rheingold“ oder den „Meistersingern“ zu entdecken.
Annette
PFEIFER war als Hänsel schlichtweg der Sympathieträger. Neben der Tatsache,
daß sie einen glaubhaften Jungen darstellen kann, sang sie einfach prachtvoll.
Gretel, an diesem Abend gut von Imke LOOFT interpretiert, stand ihrem
Bruder beim Unfug machen in nichts nach. Beide Sängerinnen schafften es
dankenswerterweise, dabei nicht „neckisch“ zu wirken.
Mardi
BYERS stellte eine glaubhafte überforderte Mutter auf die Bühne, der Bösartigkeit
als Motiv ihrer Handlungen eher fremd sein dürfte. Es gelang ihr, nicht
schrill zu klingen, wie dies bei vielen Gertruds der Fall ist. Marco STELLA
als Besenbinder sang die Rolle mit viel Einsatz und spielt glaubwürdig
einen gutherzigen, aber dem Alkohol übermäßig zugetanen einfachen Mann.
(Sein Hut allerdings dürfte in dieser Produktion den Preis für den Ausstattungsgau
gewinnen.)
Sichtlichen
und hörbaren Spaß hatte Chantal MATHIAS an ihren Auftritten als Sand-
und Taumännchen, die sie gesanglich absolut souverän durchmaß.
Über
das einzige Manko des Abend kann man leider nicht schweigen. Mario DIAZ
war als Knusperhexe nicht halb so komisch, wie er sich selbst fand, und
über den desolaten Zustand seiner Stimme muß nicht noch mehr Speicherplatz
auf dieser Site verschwendet werden.
CHOR
und KINDERCHOR (Einstudierung: Joseph FEIGL) klangen sehr homogen, was
ja speziell beim Kinderchor keine Selbstverständlichkeit ist. MK/AHS
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