Das
Theater Lübeck bringt in jedem Jahr eine Produktion eines skandinavischem
Komponisten der Gegenwart auf die Bühne. Intendant Marc Adam begründete
dieses jüngst in einem Radiointerview mit der Nähe der Stadt zur nördlichsten
Region Europas (naja...). Dieses Jahr gab es eine Uraufführung des Isländers
Halfidi Hallgrimsson (Jahrgang 1941). Der Komponist entschloß sich vor
mehr als 20 Jahren, seine Stelle als erster Solocellist beim Scottish
Chamber Orchestra aufzugeben, um sich der Tätigkeit des Komponierens voll
und ganz zu widmen. Dieses war sein erstes Werk für Musiktheater. In ihrem
(mit der Zeit immer langweiliger werdenden) Einführungsvortrag versprach
Dramaturgin Daniela BRENDEL ein überwiegend tonales Werk. Das habe ich
jedoch nicht herausgehört. In der Oper an sich gibt es zwei, drei Passagen,
die mir ganz gut gefallen haben, der Rest hat mich aber eher gelangweilt,
was aber auch damit zusammenhängt, daß ich dieser Art von Musik generell
nichts abgewinnen kann.
Das
Stück hört auf den seltsamen Titel „Die Wält der Zwischenfälle“. Der Umlaut
rührt von dem Librettisten her, dem Russen Daniil Charms, der unter Stalin
in Ungnade fiel und in einer Leningrader Gefängnispsychiatrie verhungerte.
Er stellte alle gesellschaftlichen Konventionen in Frage und somit auch
die Rechtschreibung. In dem Werk gibt es keine durchgängige Handlung,
vielmehr ist es eine Szenefolge auf Texte von Charms, die alle eine Handlung
in sich bergen. Diese sind jedoch dermaßen absurd, dass sogar Kafkas „Verwandlung“
in ihrem Inhalt noch plausibel wirkt. Ich würde sie vielleicht als kontextuellen
Dadaismus bezeichnen. Die (aus meiner Sicht) viel besseren Texte waren
kürzer und standen allesamt im Programmheft, dem auch die Texte beigefügt
waren.
Die
Produktion war als Koproduktion der Wiener NetZZeit (die sich für die
Musik zeitgenössischer Komponisten stark macht) mit dem ENO-Studio der
English National Opera geplant. Das Studio (das sich auch für moderne
Musik einsetzte) wurde jedoch aus Geldmangel eingestellt, und die Uraufführung
schien gescheitert bis Lübeck Interesse zeigte. NetZZeit-Gründer und –Leiter
Michael SCHEIDL sorgte mit Nora SCHEIDL (Ausstattung) für die Inszenierung,
die sich dem Werk eigentlich gut anpasste. Eine klassische Regie wirkt
bei solchen Werken einfach lächerlich.
Die
ersten Szenen spielen in einer Art Unterführung, aus der jedoch keiner
der Beteiligten heraus kann. Die Protagonisten haben allesamt Körperdoubles,
die von der anderen Seite wieder reinkommen, wenn sie auf der einen abgegangen
sind (wäre aber schön gewesen, wenn diese halbwegs wie die „echten“ ausgesehen
hätten...). Der Rest spielt in einem nicht weiter definierbaren Raum,
wo eine Rampe zur rechten hinteren Seite hochgeht, vorne eine Parkbank
steht und links eine Kiste auf Pfählen. Die Kostüme fügten sich gut in
das Bühnenbild ein.
Höchst
erfreulich erwies sich die musikalische Umsetzung der doch sehr komplexen
Musik. Bei den Sängern gab es keinen einzigen, der durch eine besonders
schlechte Leitung aufgefallen wäre. Selbst bei den Phrasen, wo jeder der
Sänger ein einziges Wort zu singen hat, das dann in der Ergänzung mit
den anderen einen Satz ergibt, blieben alle glänzend zusammen.
Da
es, wie gesagt, keinen Handlungsstrang gibt, waren die Sänger auch nur
mit den Stimmlagen bezeichnet. Eine wirklich tolle Leistung bot der eine
Tenor/Erzähler (Charms???) Clemens C. LÖSCHMANN, der die sehr anspruchsvolle
Partie ohne Abstriche meisterte und sogar noch einen kleinen Stunt zu
bewältigen hatte.
Bei
Mark HAMMAN (Der andere Tenor) störte ein wenig der nicht akzentfreie
Vortrag, aber auch er absolvierte seinen Part ohne Fehl und Tadel. Während
Tom SOL (Der eine Bariton) ein wenig abgesungen klang, brillierte Marco
STELLA als der andere Bariton mit einer gloriosen Höhe. Christian TSCHELEBIEW
(Der eine Bass) hatte neben seinen gesanglichen Aufgaben, die er ebenfalls
sehr gut bewältigte, auch noch einen leicht anzüglichen Tanz zu vollführen,
dem er auch gewachsen war. Andreas KRUPPA (Der andere Bass) fiel nicht
sonderlich auf.
Die
Damen waren mit der technisch hervorragenden Chantal MATHIAS (Der Sopran),
bei der nur die etwas verwaschene Höhe ein wenig störte, und der herrlich
volltönenden Veronika WALDNER (Der Mezzosopran) besetzt.
Ein
großes Lob gilt dem Kapellmeister Frank Maximilian HUBE und dem höchst
konzentrierten PHILHARMONISCHEN ORCHESTER DER HANSESTADT LÜBECK!!! Wie
sie es schafften, die Klüfte des Werkes zu umschiffen, ist unglaublich!
Selbst ein „großes“ Orchester hätte es kaum besser machen können. Niemals
wurden die Sänger zugedeckt, immer waren alle zusammen, es gab keine Wackler
und keine Ausstiege. BRAVO!!!
Es
bleibt zu hoffen, daß Hubes großes Talent auch mal endlich mit einem höheren
Posten gewürdigt wird!!! Verdient hätte er es allemal! Ich wage zu bezweifeln,
daß der GMD das annähernd so toll hingekriegt hätte. WFS
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