Oder
auch nicht, denn in Dieter KAEGIs Inszenierung von „I Masnadieri“ spielt
sich alles – bis auf die erste Szene, in der Carlo und die Räuber eine
Bibliothek verwüsten – in der von Szene zu Szene mehr ramponierten Halle
des Hauses Moor ab.
Diese
Produktion kam als Koproduktion mit Gelsenkirchen und der Opéra Royal
de Wallonie, Liege an die Trave. Es ist angesichts der derzeitigen öffentlichen
Haushaltslage eine clevere Entscheidung, sich die entsprechenden Kosten
zu teilen, um so diese Oper auf den Spielplan setzen zu können. Aber eine
hochklassigere Regie hätte dabei schon rausspringen können...
Nicht,
daß Kaegi, der für Lübeck anscheinend unerläßlich ist, eine provokante
und/oder modernisierte Fassung auf die Bühne gebracht hat, die dem Betrachter
nicht gefällt, weil er eine andere Auffassung hat. Damit könnte man sich
zumindest auseinandersetzen. Die meiste Zeit bleibt einem der Eindruck
nicht verwehrt, Solisten und Chor sind wieder sich bzw. ihren Fähigkeiten
selbst überlassen, sprich: jeder macht in der vorgegebenen Kulisse, was
er kann und worauf er Lust hat. Null Interpretation, null Erzählen einer
Geschichte. Sänger zum Singen von Arien à la Liederabend an einen Flügel
zu stellen oder sie an der Rampe auf- und ablaufen zu lassen, ist witzlos
und bringt die eigentliche Dramatik des Stückes nicht zum Vorschein. Ohne
fähige Interpreten, die nicht nur singen, sondern auch spielen können,
würde sich rasch Langeweile breit machen.
Obwohl,
eine gewisse, meist unfreiwillige Komik möchte man der Arbeit nicht absprechen.
So basteln sich die Räuber in der o.g. Bibliothek eine Fahne aus einem
mitgebrachten Bettlaken, auf das ein Kreis sowie ein „M“ für „Masnadieri“
(aufgrund ihres Benehmens könnte es auch für „MAnarchisten“ stehen) gesprayt
wird. Auch die Idee, Amalia den Rollstuhl Massimilianos umständlich die
Treppe herunterschieben zu lassen, sorgt für Erheiterung. Und Francesco,
an dem in der letzten Szene eine Art Totenwaschung seitens Carlo vorgenommen
wird... nun ja.
Daß
das Theater Lübeck fast alle Partien entsprechender Opern z.Zt. locker
besetzen kann, zeigt die besuchte Vorstellung. Ein großer Glücksfall ist
auch, daß das Dirigat Frank Maximilian HUBE übertragen wurde. Mir gehen
langsam die Adjektive für die Würdigung seiner Fähigkeiten, den geschriebenen
Noten Leben einzuhauchen und dem Publikum einen echten Ohrenschmaus zu
gönnen, aus... Man hört das PHILHARMONISCHE ORCHESTER in einer ausgezeichneter
Verfassung und freut sich über eine gelungene musikalische Interpretation
mit knackigen Tempi und lyrischen Momenten.
Erfreulich
zeigt sich ebenso Mardi BYERS' Amalia. Die Sängerin strahlt momentan eine
unglaubliche Lebensfreude aus, die sich positiv auf ihren Gesang und ihr
Spiel auswirken. Da perlen die Koloraturen, und wenn nicht jeder Ton in
den Spitzenlagen perfekt sitzt, tut das der guten Leistung trotzdem keinen
Abbruch.
Es
ist wahrlich unfair von Mutter Natur, die Fähigkeiten der Söhne Massimilianos
derart ungerecht zu verteilen. Mario DIAZ (Carlo) ist mehr denn je eine
gesangliche wie darstellerische Zumutung. Man bekommt nur mehr gepreßte
oder gestemmte Töne zu hören. Bewegungsfreude ist ihm ein Fremdwort.
Gerard
QUINN ist das Highlight der Produktion. Die Art, seiner Figur Leben einzuhauchen,
beeindruckt nachhaltig. Francesco bekommt eine zutiefst menschliche Seite,
durch die seinen Zusammenbruch am Ende nachvollziehbarer und vor allem
glaubhafter wird.
Anstatt
sich entspannt zurückzulehnen, um dem ausgesprochen kultivierten Verdigesang
zuzuhören, sitzt man die meiste Zeit auf der Stuhlkante, atemlos. Perfekte
Phrasierung und eine Stimmführung ohne Ecken oder Kanten, ohne daß der
Gesang jemals langweilig wirkt – was kommt als nächstes?
Andreas
HALLER stellt eine enorme Steigerung zum Massimiliano/Moser der Premiere
dar. Er bewies, daß man ihn mit Recht nach dem Lübecker „Holländer“ vor
einigen Jahren in guter Erinnerung behalten hat. Die Hoffnung, ihn wieder
in diesem Theater zu hören, hat sich insofern erfüllt, daß Herr Haller
nun Ensemblemitglied in Lübeck ist. Eine gute Nachricht!
Exzellent
ist auch Joe TURPIN als Arminio. Er macht aus dem bloßen Stichwortgeber
eine weitere tragische Figur und singt dabei so exakt wie schön. Joao
CARRERA (Rolla) scheint es nicht mehr zu stören, daß er z.T. halbnackt
auf der Bühne stehen muß. Daß ist gut, denn so kommt man länger in den
Genuß seines angenehmen Tenors und der ausgezeichneten Diktion.
Der
HERRENCHOR, der an seiner Bedrohlichkeit in der Szene vor der Pause vielleicht
noch bißchen arbeiten sollte, ist ein weiteres Plus der Produktion. Man
ist mit Freude bei der Sache, was sich ungemein positiv auf den Gesang
auswirkt.
Es
gibt noch so viele Werke von Verdi und seinen Kollegen, die man mit einem
solchen Ensemble besetzen könnte (vielleicht findet man ja auch noch einen
Tenor). Eine entsprechende Wunschliste würde den Rahmen hier allerdings
sprengen.
Wer
schon immer „I Masnadieri“ hören wollte oder wer einfach Lust auf richtig
gut gespielten und gesungenen Verdi hat, sollte die Gelegenheit, nach
Lübeck zu fahren, nicht verpassen, denn die Mankos werden von den Pluspunkten
definitiv aufgehoben. Gespielt wird noch im Oktober und November. AHS
P.S.
an die Requisite: Daß Massimilianos Rollstuhl quietscht, hört man auch
ganz hinten im Parkett...
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