"TOSCA"- 24. Oktober 2003

Puccinis Oper spielt in der neuen Lübecker Inszenierung augenscheinlich während einer nicht näher definierten faschistischen Diktatur. Man gibt zudem das Stück als Theater auf dem Theater.

“Wie gut! Wie klug!”? Nein, eigentlich nicht, denn man wurde den Eindruck nicht los, daß Jakob PETERS-MESSER dies nur macht, weil man es eben so tut heutzutage. Zu seiner Regiearbeit hat die zeitliche Einordnung nämlich gar keinen Bezug. Andererseits machte dieses Fehlen jeglichen Bezugs gar nichts, denn in der gesamten inszenatorischen Arbeit vermißte man ein Konzept. Zumindest konnten wir keines entdecken. Hinzu kommen handwerkliche Fehler.

Wieviele Ein- und Ausgänge hat die capella d' Attavanti eigentlich? Und weshalb bietet Scarpia den “vin di Spagna” aus einer Cava-Flasche an?

Insbesondere fehlt es auch an einer ausgefeilten Personenregie. Ständig Personen als Gekreuzigte darzustellen (unter anderem Scarpia!) ist weder neu, noch gut. Und was ißt Scarpia im zweiten Akt? Fisch aus der Dose? Oder doch Austern?

Daß Tosca am Ende dann nicht von der Engelsburg sprang, überraschte danach wenig.

Weshalb das Bühnenbild (Markus MEYER) im zweiten Akt zahllose Stühle aufwies, was allenfalls an die “Reise nach Jerusalem” erinnern wollte, die von den Personen wahlweise umgeworfen, herumgetragen oder sonstwie bewegt wurden, erschloß sich auch nicht.

Die Kostüme von Sven BINDSEIL waren, sieht man mal von den an diverse faschistische Regime angelehnten Kleidungsstücken ab, ordentlich. Ein Genußmensch wie Scarpia sollte allerdings in der Lage sein zu wissen, daß zu einem braunen Anzug unmöglich eine blaue Krawatte geht – und das Einstecktuch sollte wenigstens zu letzterer passen.

Mario DIAZ konnte auch als Cavaradossi nicht punkten. Er sang zu laut, forcierte permanent und gewann auch ansonsten keine Sympathiepunkte. So gab es nach einer uninspirierten “Recondita armonia” bereits bei “la vita mi costasse” nur mehr heiße Luft. Dem Tenor fehlte es schlicht an Durchschlagskraft, was er grundsätzlich mit Lautstärke zu korrigieren glaubte, und man vermißte weiterhin Gesangskultur wie -technik.

Schade war es an diesem Abend um Mardi BYERS' Tosca. Allzu zaghaft ging sie die Partie an, die vielleicht ein wenig zu früh kommt. Und aufgrund ihrer Konzentration auf die gesangstechnischen Gegebenheiten litt ihr Spiel zwangsläufig an Temperament (fehlende Unterstützung aus dem Graben tat ein übriges...). Dies ist um so bedauerlicher, da an einigen Stellen eben jenes Temperament gemeinsam mit einer vielversprechenden großen Stimme aufblitzte.

Der Abend geriet zum Erfolg für Scarpia. Diese Rolle scheint für Gerard QUINN gemacht. Alles paßte, und trotzdem gab es neue Aspekte in der Interpretation zu entdecken. So hatte sein Baron einen wesentlich intellektuelleren Anstrich als sonst üblich. Er quält nicht nur aus reinem Genuß, sondern auch weil es ihm nützt. Gesanglich blieben keine Wünsche offen.

Benno SCHÖNING hatte als Mesner gute Momente, litt aber besonders unter dem Dirigat. Dem Angelotti von Marco STELLA machte dies weniger. Er sang souverän seine Partie und spielte auch die Szenen, die Angelotti sonst nicht auf der Bühne ist, mit viel Präsenz.

Enrico-Adrian RADU (Spoletta) und André MALIOUK (Sciarrone) ergänzten zuverlässig, wobei ersterer ruhig ein wenig küchenschabiger hätte sein können.

Den kurzen Auftritt des Hirten machte Annette PFEIFER zu einem Höhepunkt des Abends, und Andreas BAUMEISTER besaß als Schließer neben einer sehr interessanten Stimme große darstellerische Fähigkeiten.

Der größte Alptraum dieses Premierenabends war das Dirigat von Roman BROGLI-SACHER. Selten haben wir eine derart langsame “Tosca” hören dürfen. Dynamik ist anscheinend ein zu kompliziertes Fremdwort für den Lübecker GMD. Prägnante Stücke wie eben z.B. “Recondita armonia” oder das TeDeum gerieten allzu tragend, und es blieb dem jeweiligen Sänger überlassen, genug Atem zu haben – oder eben nicht.

Und vor allem in der Sängerbehandlung, im Fehlen jeglichen Eingehens auf die Künstler liegt das besondere Manko Herrn Brogli-Sachers.

Glücklicherweise war das PHILHARMONISCHE ORCHESTER insgesamt besser einstudiert als noch bei der “Carmen”-Premiere. Musikalische Unfälle hielten sich im Rahmen, blieben aber nicht aus.

Weshalb schwankt ein Chor während des TeDeums? Nun, auch diese Frage blieb unbeantwortet. Dem CHOR und EXTRA-CHOR schadete diese Absurdität allerdings wenig. Sie schlugen sich am Ende des ersten Aktes sehr wacker.

Fazit ist, daß man nach Ausblenden aller Mankos trotzdem einen schönen Opernabend haben kann. MK & AHS