Der
Komponist Hans Gefors und seine Librettistin Kerstin Klein-Perski haben
sich eine so starke wie leider immer wieder aktuelle Thematik für ihre
Oper ausgesucht.
„Der
Wolf kommt“ erzählt die Geschichte einer Geiselnahme. Ein Mann, Lyckos,
dringt in einen Kindergarten ein, nimmt die Kinder und ihre Erzieherin
Lollo als Geiseln. Vor dem Gebäude sammeln sich die besorgten Eltern.
Die Polizei und Presse erscheinen. Der Innenminister versucht, mit markigen
Sprüchen politischen Nutzen aus der Situation zu ziehen.
Viele
gegensätzliche Interessen, viel Potential für dramatische zwei Stunden
auf der Bühne.
Leider
wird das meiste davon durch die Regie verschenkt. Thomas MITTMANN zeichnet
eine dunkle Welt, in der selbst der Kindergarten, zumindest das, was davon
zu sehen, trostlos wirkt. Allein die Lichtregie durchbricht hin und wieder
das s/w-graue Einerlei. Die Kulissen (Ausstattung: Wolfgang BUCHNER) sind
zweckmäßig gestaltet, aber eben viel zu trist.
Weshalb
Lyckos sich in dieser Welt erst als Geiselnehmer versucht, anstatt ob
der Tristesse gleich Selbstmord zu begehen, ist nur eine der offenen Fragen.
Warum sollte der Kindergarten für ihn interessant sein, wenn es dort nicht
besser ist als draußen?
Auch
oder gerade durch die Personenregie geht viel verloren. Weder Lollo noch
Lyckos besitzen die für ihre Rolle so wichtige Ausstrahlung. Wenn hier
den beiden Darstellern die notwendigen Fähigkeiten fehlen, die in der
Musik befindliche Intensität dem Zuhörer zu übermitteln, ist sicherlich
der Regisseur gefragt. Man sieht auf der Bühne einen Geiselnehmer, der
keinerlei Gefährlichkeit ausstrahlt. Alle Konfrontationen verpuffen in
einer Atmosphäre der Langeweile. Es bleibt dem Zuschauer völlig verborgen,
welche Entwicklungen in Lyckos und Lollo vorgehen, so daß sie sich ineinander
verlieben. Die Vielzahl der Szenen zwischen den beiden dehnen sich schier
unendlich.
Thorsten
SCHARNKE (Lyckos) ergänzt den negativen darstellerischen Eindruck mit
einer indiskutablen gesanglichen Leistung. Einzig in den tieferen Lagen
gelingt einiges, wenn auch nicht alles. Ab der Mittellage aufwärts ist
es eine Qual ihm zuzuhören. Die Lollo von Franziska HIRZEL hat dieser
schwachen Leistung wenig entgegenzusetzen. Ihr fehlt es an Temperament.
Selbst Lollos Ausbrüche wirken platt und halbherzig. Doch zumindest gelingt
es ihr, fast alle gesanglichen Anforderungen der Rolle zu bewältigen.
Es
ist beinahe amüsant wie die beiden von Lydia ESSL an die Wand gespielt
werden. Die junge Dame gibt Marie, dem einzigen Kindergarten-Kind, das
man auf der Bühne zu sehen bekommt, einen rollenkonform eigensinnigen
Charakter. Großartig ist auch Angela NICK als Maries Mutter. Stimmliche
und darstellerische Potenz „at its best“. (Wir werden sie vermissen.)
Beeindruckend
zeichnet Gerard QUINN als Innenminister Paske das realistische Bild eines
charismatischen Politikers mit Machtallüren, dem menschliche Gefühle noch
nicht ganz abhanden gekommen ist, der sie aber in entscheidenen Momenten
wegwischen kann. Die musikalische Umsetzung gelingt ihm trefflich.
Gut
sind auch die kurzen Auftritte von Dmitri GOLOVNIN (Adjutant). Ein Demagoge
in der Ausbildung mit interessantem Tenor und gepflegter Gesangstechnik.
Der Polizeidirektor Hundt (dessen Kostüm meine Begleitung an einen amerikanischen
Postboten erinnerte) schleppt und poltert sich in der Interpretation durch
Greg RYERSON durch den Abend.
Die
Musik kann in ihrer Strukturierung sicherlich kontrovers beurteilt werden.
Jenseits jeder Diskussion liegt aber die hervorragende Leistung der LÜBECKER
PHILHARMONIKER unter der Leitung von Frank Maximillian HUBE.
Exzellent
diesmal CHOR und EXTRACHOR des Theaters (Einstudierung: Joseph FEIGL).
Sehr homogen ist hier insbesondere die Gruppe der Eltern.
Ein
Abend, der zwar nicht alle Erwartungen erfüllt, das Publikum aber, so
es die Bereitschaft besitzt, sich auf Thematik und Musik einzulassen,
fordert. AHS
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