Nach
dem „Rotkäppchen“ in der vergangenen Saison zeigt das Lübecker Theater
eine weitere selten gespielte, französische Märchenoper.
André
Ernest Modeste Grétry komponierte äußerst inspirierte Musik, die wie ein
Bindeglied zwischen Gluck und Mozart wirkt. Zeitweilig hat man das Gefühl
einer frühen, aber unbekannten Mozart-Oper zu lauschen. Die Oper des Belgiers
wurde 1771 im Schloß Fontainebleau uraufgeführt und Madame Dubarry gewidmet.
Das Libretto stammt von Jean Francois Marmontel. In Lübeck sang man französisch
und sprach die Dialoge auf deutsch, was durchaus praktikabel ist.
Es
ist auch generell nichts dagegen zu sagen, wenn ein Intendant am eigenen
Haus inszeniert. Peter Mussbach tut das in Berlin, Götz Friedrich hat
es ebenso wie August Everding getan - und nun wagte es Marc ADAM.
Herausgekommen
ist eine erstaunlich solide Arbeit, die vielleicht in einigen Punkten
bei der Personenregie zu verbessern wäre, aber sonst sehenswert ist. Er
erzählt die klassische Geschichte von der schönen Zémire, die um ihren
Vater zu retten, sich in das Schloß von Azor (erst Tier, dann Prinz) begibt
und diesen erlöst, ohne in Disney-Kitsch abzugleiten oder sich zu sehr
an Cocteaus Meisterwerk zu orientieren.
Um
die Diskrepanzen der letzten Jahre aufzulösen, sollte Marc Adam vielleicht
seinen Intendanzposten aufgeben und statt dessen in Lübeck Opern inszenieren.
Am
besten weiterhin gemeinsam mit Michael GODEN, der in dieser Variation
der Geschichte über „Die Schöne und das Tier“ für das märchenhaft schöne
Bühnenbild verantwortlich war (Wolken en masse - und eine sogar mit richtiger
handlungstragender Rolle). Angenehm waren die historischen Bühnenbilder,
die wirkungsvoll eingesetzt, interessante räumliche Effekte ergaben.
Die
Kostüme von Pierre ALBERT sind kleidsam, wenn man mal von Azors Kleidung
absieht. Offenbar hat der auf ihm lastende Fluch auch jegliches Farbempfinden
ausgelöscht, denn eine pinke Hose zu einem hellroten Wams - das muß nicht
sein!
Die
musikalische Farbenfreude war dagegen willkommen. Frédérique
FRIESS war kurzfristig als Zémires Gesangsstimme für die erkrankte Lisa
TJALVE eingesprungen, die ihrerseits wiederum Zémire spielte und sprach.
Vom Bühnenrand gab sie der Figur akkurat, aber beseelt Format. Die Koloraturen
perlten klar. Die junge Künstlerin verfügt bereits über ein erstaunlich
ausgereiftes Material von großer Schönheit.
Roberto
GIONFRIDDO (Azor) führte seine, eigentlich für dieses Fach längst zu große
Stimme, schlank und phrasierte so wortdeutlich, daß man, selbst wenn das
eigene Französisch eingerostet ist, jedes Wort verstand. Trotz der eher
skurrilen, denn erschreckenden Kostümierung war er in jeder Sekunde präsent,
sowohl als Tier als auch im Finale als Prinz. Eine kluge Entscheidung,
gerade ihm diese Partie anzuvertrauen. Leider wird der Sänger am Saisonende
das Theater verlassen.
Sehr
rollenkonform und musikalisch ausgereift waren Annette PFEIFER (Lisbé)
und Chantal MATHIAS (Fatmé) als Zémires Schwestern. Während Lisbé hauptsächlich
ihren Sprachfehler und ihre Preziosen pflegte, stopfte Fatmé permanent
Süßigkeiten in sich hinein, ohne sich beim Singen zu verhaspeln.
Steffen
KUBACH fehlte leider noch immer die stimmliche Geläufigkeit für ins Mozarteske
gehenden Gesang. Sein Sander, Zémires Vater, besaß aber im Spiel die gewohnte
Präsenz und Präzision. Dies ging Thomas BURGER (Ali) alles ab. Neben seinem
leider völlig aus den Bahnen gehenden, mit einem meckernden Timbre versehenden
Gesang war auch sein Französisch beklagenswert schlecht.
Grandios
spielte das PHILHARMONISCHE ORCHESTER unter der Leitung von Ludwig PFLANZ.
Es gelang ihnen, die Schönheit der Musik Grétrys zu transportieren und
das Publikum dafür zu begeistern (Anmerkung: Was in einer Sonntagnachmittagsvorstellung
nicht ganz einfach ist). AHS & MK
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