Das
Lübecker Theater startete die neue Spielzeit mit Bizets „Camen“. Eine
clevere Wahl, wie der Premierenabend zeigte, denn das Stück allein füllt
das Haus, und es genügt eine gutaussehende Sängerin in der Titelpartie,
um das Publikum zum Jubeln zu bringen.
Natürlich
soll mit einer solchen Aussage die guten Leistungen, die es an diesem
Abend gab, nicht geschmälert werden. Doch es ist erstaunlich, wie wenig
es braucht, um ein Premierenpublikum zufriedenzustellen.
Die
Inszenierung von Patrice BIGEL langweilte leider schlichtweg. Sinnloses
Herumstehen der Protagonisten war Programm, die Beziehungen zwischen den
Personen der Handlung nicht vorhanden. Carmen und Don José hatten sich
nichts zu sagen, und so fragte man sich am Ende des Abends, weshalb es
zur tödlichen Eskalation kam. Es gab keine Geschichte von Liebe und Eifersucht,
keine Konfrontation. Jegliche Erotik seitens Carmen fehlte. Von den interessanten
Ansichten des Regisseurs, die man im Programmheft nachlesen konnte, blieb
auf der Bühne leider nichts übrig. Der Chor bewegte sich entweder unkoordiniert
oder viel zu militärisch. Weshalb sollten die Bewohner Sevillas in der
ersten Szene vor den Soldaten auf und ab marschieren?
Das
Bühnenbild lebte von großflächigen Mustern zwischen Lokalkolorit und siebziger
Jahre-Stil. Einfallslos und scheinbar bunt zusammengewürfelt. Plakativ,
aber ähnlich bar jeder Aussage wie die Inszenierung selbst. Man könnte
vermutlich jedes Stück außer Puccinis „Butterfly” in diesen Kulissen spielen
lassen. Jean-Charles CLAIR ist für diese Ausstattung verantwortlich. Bei
den Kostümen bewies er ein besseres Händchen. Mit einer Ausnahme waren
diese der jeweiligen Figur angemessen gestaltet. Diese Ausnahme allerdings
zeigt ein gehöriges Maß an fehlender Sensibilität.
Wie
man auf die Idee kommen kann, Escamillo in klassisches Torero-Outfit in
den Farben violett und orange zu stecken, bleibt wohl das Geheimnis des
Produktionsteams. Glücklicherweise war die Beleuchtung so gestaltet, daß
man diese farbliche Entgleisung nicht ständig vor Augen hatte.
Die
Entscheidung, die Dialoge in deutscher Sprache wiedergeben zu lassen,
kam dem Publikum sicherlich entgegen, doch die Übersetzungen waren zum
Teil unfreiwillig komisch. Etwas mehr Sorgfalt wäre hier angebracht gewesen,
zumal der Großteil der Sänger eben keine Muttersprachler waren.
Eine
schöne Reminiszenz an die Geschichte des Hauses war die Ansicht der Stierkampfarena
im letzten Bild, die an die beleuchtete Holstentorhalle, eine Ausweichspielstätte
während der Renovierung, erinnerte. Aber vermutlich war die Ähnlichkeit
eher ein Zufall.
Patricia
FERNANDEZ brachte eine persönlichkeitsarme Carmen auf die Bühne. Sie ist
eine schöne Frau, mit einer ebenso gefälligen Stimme gesegnet, doch leider
reicht das nicht, die gefährliche Verführerin glaubhaft zu machen. Es
liegt nicht daran, daß sie den Part nicht zu singen vermag. Das gelang
ihr zumeist recht ordentlich, wobei sie allerdings in den Ensembles z.T.
nicht zu hören war, und das Schmugglerquintett doch eher zum Quartett
geriet. Es
war vielmehr ihr Verständnis von der Rolle, das viel zu klischeehaft geriet
und aus der Gefahr für jeden Mann in ihrer Nähe eine Vorstadt-Diva machte.
Don
José in der Interpretation von Mario DIAZ war ihr in der sicherlich keine
Hilfe bei der Rollenentwicklung. Einer der Gründe des Scheiterns jeglicher
Darstellung der Beziehung zwischen Carmen und José war wohl in der Unfähigkeit
des Tenors, auf seine Partner einzugehen, begründet. Er verbrachte den
Abend mit klassischem Rampenstehen, raumgreifenden Gesten und dem Bemühen,
seine Stimme klingen zu lassen. Letzteres mißlang immer wieder. Die Stimme
hat in den vergangenen Monaten noch mehr gelitten. Permanentes Forcieren
machte den Klang nicht schöner und die Versuche diverser Piani, angebrachte
und unangebrachte, berührten aufgrund des Unvermögens eher peinlich. Gesangstechnik?
Die vermißte man den gesamten Abend hindurch.
So
lag es in erster Linie auf den Schultern von Chantal MATHIAS aus dem Abend
eine musikalische Geschichte zu machen. Es gelang ihr außerordentlich
gut. Die Entwicklung der Sängerin ist erfreulich. Im Gegensatz zu früheren
Auftritten brachte sie hier ein gelungenes Rollenporträt über die Rampe.
Micaela war weit entfernt von dem üblichen Hascherl. Ihr glaubte man,
daß sie sich auf den Weg ins Gebirge macht, um José auf den “rechten Weg”
zurückzubringen. Hinzu kommt ein schön aufblühender Sopran mit dem richtigen
Sitz und einer klaren Höhe.
Gerard
QUINN litt primär unter dem bereits erwähnten Escamillo-Kostüm. Schade,
denn eigentlich bewältigt er diese für Baritone oft so schwierige Rolle
mit Anstand und besitzt auch das notwendige Temperament für den Torero
aus Granada.
Mercedes
mit Angela NICK zu besetzen, war wenig clever, bewies sie doch, wie man
mit einem ausgereiften, rund klingenden Mezzosopran und einem ausgefeilten
Spiel Carmen wie ein blasses Abziehbild aussehen lassen kann. An ihrer
Seite stellte sich Stefanie KUNSCHKE als neues Ensemblemitglied dem Lübecker
Publikum vor. Ein vielversprechendes Hausdebüt, bei dem man sich auf mehr
als bloß Frasquita freut.
Die
Herren des Ensembles bewiesen ein weiteres Mal, daß es eben keine kleinen
Rollen gibt. Marco STELLA als Zuniga und Patrick BUSERT als Remendado
zeigten bestens disponiert, während Benno SCHÖNING (Dancairo) im Verhältnis
dazu ein wenig abfiel.
Schade
war es um die musikalische Begleitung aus dem Graben. Gar zu forsch, fast
militärisch ließ Roman BROGLI-SACHER das PHILHARMONISCHE ORCHESTER klingen.
Hinzu kamen deutliche Schwächen bei den Blechbläsern, während die Streicher
dem guten Ruf des Orchesters gerecht wurden. Schön gelungen war das Vorspiel
zum 3. Akt mit einem exzellent gespielten Querflöten-Solo.
Wie
häufig beim Zusammentreffen von CHOR und EXTRA-Chor (Einstudierung: Joseph
FEIGL) auf der Bühne ließ die gesangliche Qualität zu wünschen übrig.
Und
dann gab es noch Flamenco... ein Programmpunkt, auf den man getrost hätte
verzichten können.
Anschauen
sollte sich die Produktion trotz der Mankos, denn die kleinen Feinheiten
im Ensemble sind es wert. Allerdings: Das geht am Lübecker Theater eigentlich
viel besser. AHS
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