Geht
es in Lübeck jetzt wieder aufwärts? Die Produktion von Rossinis „Barbiere“
gibt hier zur Hoffnung Anlaß, denn es stimmte beinahe alles. Die Regisseurin
Anette LEISTENSCHNEIDER schafft es, das einfach Bühnenbild von Jean BAUER
mit soviel Leben zu erfüllen, daß ihre cleveren Einfälle durchaus auch
für mehr als eine Inszenierung gereicht hätte. Dabei bleibt sie wohltuend
präzise und inszeniert sehr genau auf die Musik.
Da
öffnet Bartolo zu Basilios „colpo di canone“ Bierflaschen (Flens - Plop!),
Rosina wirft ihren Schuh vom Balkon, im Finale des ersten Aktes will die
Wache offenbar die gesamte Besetzung mit Zwangsjacken versehen, Fiorello
wird vom Chor verprügelt, weil dieser nicht bezahlt wird; es sind die
Kleinigkeiten, die diese Inszenierung sehenswert machen. Es gibt das eine
oder andere, was man machen kann, aber nicht muß (die drei Kinder, oder
die Geschichte als Rosinas Traum zu erzählen), aber das ändert nichts
an der Stimmigkeit. Insbesondere ist es der Regisseurin gelungen, im fast
durchweg exzellenten Ensemble eine enorme Spielfreude zu wecken. Bereits
von Beginn an überträgt sich der Spaß, der augenscheinlich auf der Bühne
herrscht, auf den aufmerksamen Zuschauer.
Rosina
fühlt sich wohl in dem von ihr erträumten Chaos. Erstaunlich, was so beim
Zappen durch das Fernsehprogramm entstehen kann. Der Held mutiert zum
Degen schwingenden Zorro, der Barbier, als „bester Freund der Heldin„,
scheint geradewegs einem Film a la „Ein Freund zum Verlieben“ entstiegen
zu sein. Annette PFEIFER erweckt die ihr anvertraute Rolle virtuos zum
Leben. Ihr Mezzo verfügt über die nötige Bandbreite, weder die Höhen noch
die Koloraturen bereiten ihr Schwierigkeiten, so daß sie sich vollständig
der gesanglichen und darstellerischen Interpretation der Rolle widmen
kann.
Gerard
QUINN zeigt in der Titelrolle, wie man sich eine Partie erarbeiten kann,
die von der stimmlichen Entwicklung her nicht mehr die seine sein dürfte.
Er phrasiert so klug und spielt derartig intelligent mit allen Facetten
seiner Stimme, daß er trotz des großen dramatischen Organs durch die Koloraturen
kommt. Und wie bereits im „Gianni Schicchi“ blitzt sein Talent zu subtiler
Komik in allen Szenen auf.
Regie
wie Ausstattung unterstützen ihn darin. So erscheint Figaro bei seinem
ersten Auftritt mit einer altmodischen Trockenhaube, und es ist schwer
zu entscheiden, welche der „cinque parrucche“ (bei jedem seiner Auftritte
eine andere) ihm am besten steht.
Besonders
gelungen ist auch Patrick BUSERTs Almaviva-Debüt. Gekonnt phrasiert und
mit präzise geführter Stimme gibt er dem Grafen eine noble Ausstrahlung
und elegantes Gebaren, ohne auf humorvolles Spiel zu verzichten. Die Koloraturen
perlen sauber, der Gesang besitzt die notwendige Präzision.
Seine
besondere Freude am Spiel und seine enorme Beweglichkeit kommen dem Tenor
hier wieder einmal zugute. Ein Höhepunkt der Inszenierung ist in dieser
Besetzung ganz sicher das Barbier/Almaviva-Duett.
Marco
STELLA als Bartolo überrascht mit einem irrsinnig schnellen Parlando in
„Un dottor della mia sorte“, und schafft es auch sonst, aus einer an und
für sich nicht sehr auffälligen Stimme alles herauszuholen. Zudem stellt
er einen köstlichen alten Zausel dar, der mit seinem Diktiergerät und
seinen diversen Fernbedienungen gekonnt umgeht. Hingegen ist Greg RYERSON
als Basilio deutlich überfordert. Die Stimme klingt verbraucht, er schleppt
während seiner Arie und bringt damit den Dirigenten schier zur Verzweiflung.
Zudem ist er der einzige, dem es nicht gelingt, die Anweisungen der Regisseurin
punktgenau auf die Musik umzusetzen; er hampelt eher planlos in der Gegend
herum.
Tenor
Roberto GIONFRIDDO hatte mit der Bariton-Rolle des Fiorello keinerlei
Schwierigkeiten, darstellerisch machte er das beste aus dem kurzen Auftritt.
Positiv fiel Andrei MALIOUK als Offizier auf.
Einen
großen Anteil am Gelingen dieses Nachmittags hatte Frank Maximillian HUBE
am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERs- Hube dirigierte einen federnden,
sehr lebendigen Rossini mit viel Brio, straffen Tempi und der vorbildlichen
Herausarbeitung von Details. Das Orchester folgte ihm fehlerfrei, und
auch der zuletzt nicht gerade auf höchsten Niveau singende CHOR machte
seine Sache ausgezeichnet.
Am
Ende bleibt nur eine Frage offen: Weshalb eigentlich Zorro?
AHS & MK
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