„IL BARBIERE DI SIVIGLIA“ - 2. Februar 2003

Geht es in Lübeck jetzt wieder aufwärts? Die Produktion von Rossinis „Barbiere“ gibt hier zur Hoffnung Anlaß, denn es stimmte beinahe alles. Die Regisseurin Anette LEISTENSCHNEIDER schafft es, das einfach Bühnenbild von Jean BAUER mit soviel Leben zu erfüllen, daß ihre cleveren Einfälle durchaus auch für mehr als eine Inszenierung gereicht hätte. Dabei bleibt sie wohltuend präzise und inszeniert sehr genau auf die Musik.

Da öffnet Bartolo zu Basilios „colpo di canone“ Bierflaschen (Flens - Plop!), Rosina wirft ihren Schuh vom Balkon, im Finale des ersten Aktes will die Wache offenbar die gesamte Besetzung mit Zwangsjacken versehen, Fiorello wird vom Chor verprügelt, weil dieser nicht bezahlt wird; es sind die Kleinigkeiten, die diese Inszenierung sehenswert machen. Es gibt das eine oder andere, was man machen kann, aber nicht muß (die drei Kinder, oder die Geschichte als Rosinas Traum zu erzählen), aber das ändert nichts an der Stimmigkeit. Insbesondere ist es der Regisseurin gelungen, im fast durchweg exzellenten Ensemble eine enorme Spielfreude zu wecken. Bereits von Beginn an überträgt sich der Spaß, der augenscheinlich auf der Bühne herrscht, auf den aufmerksamen Zuschauer.

Rosina fühlt sich wohl in dem von ihr erträumten Chaos. Erstaunlich, was so beim Zappen durch das Fernsehprogramm entstehen kann. Der Held mutiert zum Degen schwingenden Zorro, der Barbier, als „bester Freund der Heldin„, scheint geradewegs einem Film a la „Ein Freund zum Verlieben“ entstiegen zu sein. Annette PFEIFER erweckt die ihr anvertraute Rolle virtuos zum Leben. Ihr Mezzo verfügt über die nötige Bandbreite, weder die Höhen noch die Koloraturen bereiten ihr Schwierigkeiten, so daß sie sich vollständig der gesanglichen und darstellerischen Interpretation der Rolle widmen kann.

Gerard QUINN zeigt in der Titelrolle, wie man sich eine Partie erarbeiten kann, die von der stimmlichen Entwicklung her nicht mehr die seine sein dürfte. Er phrasiert so klug und spielt derartig intelligent mit allen Facetten seiner Stimme, daß er trotz des großen dramatischen Organs durch die Koloraturen kommt. Und wie bereits im „Gianni Schicchi“ blitzt sein Talent zu subtiler Komik in allen Szenen auf.

Regie wie Ausstattung unterstützen ihn darin. So erscheint Figaro bei seinem ersten Auftritt mit einer altmodischen Trockenhaube, und es ist schwer zu entscheiden, welche der „cinque parrucche“ (bei jedem seiner Auftritte eine andere) ihm am besten steht.

Besonders gelungen ist auch Patrick BUSERTs Almaviva-Debüt. Gekonnt phrasiert und mit präzise geführter Stimme gibt er dem Grafen eine noble Ausstrahlung und elegantes Gebaren, ohne auf humorvolles Spiel zu verzichten. Die Koloraturen perlen sauber, der Gesang besitzt die notwendige Präzision.

Seine besondere Freude am Spiel und seine enorme Beweglichkeit kommen dem Tenor hier wieder einmal zugute. Ein Höhepunkt der Inszenierung ist in dieser Besetzung ganz sicher das Barbier/Almaviva-Duett.

Marco STELLA als Bartolo überrascht mit einem irrsinnig schnellen Parlando in „Un dottor della mia sorte“, und schafft es auch sonst, aus einer an und für sich nicht sehr auffälligen Stimme alles herauszuholen. Zudem stellt er einen köstlichen alten Zausel dar, der mit seinem Diktiergerät und seinen diversen Fernbedienungen gekonnt umgeht. Hingegen ist Greg RYERSON als Basilio deutlich überfordert. Die Stimme klingt verbraucht, er schleppt während seiner Arie und bringt damit den Dirigenten schier zur Verzweiflung. Zudem ist er der einzige, dem es nicht gelingt, die Anweisungen der Regisseurin punktgenau auf die Musik umzusetzen; er hampelt eher planlos in der Gegend herum.

Tenor Roberto GIONFRIDDO hatte mit der Bariton-Rolle des Fiorello keinerlei Schwierigkeiten, darstellerisch machte er das beste aus dem kurzen Auftritt. Positiv fiel Andrei MALIOUK als Offizier auf.

Einen großen Anteil am Gelingen dieses Nachmittags hatte Frank Maximillian HUBE am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERs- Hube dirigierte einen federnden, sehr lebendigen Rossini mit viel Brio, straffen Tempi und der vorbildlichen Herausarbeitung von Details. Das Orchester folgte ihm fehlerfrei, und auch der zuletzt nicht gerade auf höchsten Niveau singende CHOR machte seine Sache ausgezeichnet.

Am Ende bleibt nur eine Frage offen: Weshalb eigentlich Zorro?
AHS & MK