Das
Stadttheater Lübeck versucht, mit der ersten Opernpremiere der Spielzeit
2002/2003 einen Akzent zu setzen.
Daß
dies trotz der interessanten Stückwahl nicht zum Publikumserfolg wurde,
trägt sicherlich der Politik des Hauses in den vergangenen zwei Jahren
Rechnung. Zur Premiere am 13.09.02 war der Zuschauerraum in etwa zu 2/3
besetzt. Die zweite Vorstellung am darauffolgenden Sonntag besuchten noch
weniger Zuschauer. Dabei hatte man bisher den Eindruck, das Lübecker Publikum
würde Verdis Opern besonders lieben...
Es
ist schade, daß der Zuschauerschwund gerade diese Produktion trifft. Zwar
reicht die Qualität insbesondere im Punkt Regie und streckenweise auch
bei der musikalischen Umsetzung nicht an frühere Erfolge heran, aber immerhin
gibt es eine echte Überraschung und dazu solide Leistungen auf der Bühne
sowie engagiert und gekonnt gespielten Verdi im Graben zu vermelden.
Dieter
KAEGIs Regie ist allerdings ein Nichts aus Quadern, Säulen, Türen, im
Weg liegenden Stämmen und variablen Auf- (häufig tatsächlich oben) wie
Abgängen.
Das
Nichts wird zur Zeitlosigkeit erklärt. Szenen, die sich wegen ihrer Eindringlichkeit
ins Gedächtnis prägen, gibt es nicht. Kaegi verläßt sich zu sehr auf die
Wirkung der Musik und die Fähigkeiten der Sänger, anstatt dem Stück mittels
gekonnter Personenregie auf die Beine zu helfen. Steckenweise geht diese
Rechnung vielleicht auf, z.B. bei der charismatischen Giovanna von Natalia
Kostenko, doch schon beim hilflosen Gestikulieren von Mario Diaz (Carlo)
kommt das Manko wieder zu Vorschein.
Bei
den Kostümen (Ausstattung: Stefanie PASTERKAMP) kann man sich des Eindruck
nicht erwehren, der Lübecker Fundus wurde ohne eigene Ideen quer durch
vorangegangene Produktionen geplündert. Auch hier ist die im Programmheft
propagierte Zeitlosigkeit nützlich: Outfits quer durch den geschichtlichen
Gemüsegarten.
Zu
unfreiwilliger Komik gerieten der Chor der kirchlichen Würdenträger nach
der Pause, der uns aufgrund der Faktoren farbliche Gestaltung der Kostüme,
der Präsentation und der Beleuchtung spontan an eine Sushiplatte erinnerte,
oder die herumliegenden Holzstämme des Prologs, die die über Dreißigjährigen
an einen Siebziger-Jahre-Trimm-Dich-Pfad gemahnten. Wenig musikalisches
Gespür läßt der Regisseur auch erkennen, wenn ausgerechnet zur großen
Bariton-Arie Talbots Soldaten ihre Zelte abbrechen, was anhand der Metallstangen
alles andere als leise abgeht. Doch dies nur am Rande.
Natalia
KOSTENKO verfügt über eine in Mittellage und Tiefe angenehme, warme, individuell
timbrierte Stimme. Leider zeigten sich Schärfen in der Höhe sowie in den
Koloraturen, die ihr den ersten Auftritt erschwerten. Ihre Giovanna hat
genügend Temperament, um die Massenbegeisterung begreiflich zu machen
und den Zuhörer mitzureißen. Der religiöse Eifer der Figur ist gepaart
mit einer gesunden Portion jugendlichen Überschwangs.
Was
Gerard QUINN in der Sommerpause gemacht hat, wissen wir nicht. Es war
aber das Richtige. Als Giacomo überraschte er mit makellosem Gesang, schön
phrasierten Piani, ebenmäßig strömenden Bariton - kurz gesagt mit einer
Stimme, die Verdis Musik vollendet zum Klingen bringt. Durch natürliche
Präsenz und eine ausgereifte Darstellung machte er das Leiden von Giovannas
Vater fühlbar. Die Begeisterung des Publikums war aufgrund seiner Leistung
absolut berechtigt.
Bei
so professionellen Partnern fiel das Unvermögen von Mario DIAZ (Carlo)
doppelt auf. An Tenorklischees ist die Opernszene reich. Herr Diaz erfüllte
alle dazugehörigen Punkte, ohne selbst vielleicht eine neue Facette anzubringen.
"Hier bin ich, und hier steh' ich." ist hierbei noch das geringste Übel.
Gepresste Töne in jeder Lage, die aus einer Atemtechnik rührten, die selbst
beim Zuhörer noch Atembeschwerden auslösen konnte, unsaubere Phrasierung
und eine absolute Unfähigkeit auf seine Partner einzugehen, zeichneten
ein deutliches Bild der Überforderung.
Als
Talbot kämpfte Andreas KRUPPA sowohl mit der Intonation als auch der italienischen
Sprache. Enrico-Adrian RADU ergänzte als Delil solide.
Der
CHOR und EXTRA-CHOR DES THEATER LÜBECK (Einstudierung: Joseph FEIGL) waren,
noch höflich ausgedrückt, unausgeglichen. Man könnte auch sagen, man fing
gemeinsam an und hörte gemeinsam auf. Dazwischen machte jeder, was er
wollte. Besonders auffällig war dazu noch das sehr deutsche Italienisch.
Das
ORCHESTER hingegen, erstmals in einer Premiere unter dem neuen 1. Kapellmeister
Frank Maximillian HUBE antretend, machte seine Sache sehr gut. Von einigen
leichten Unsicherheiten bei den Holz- und Blechbläsern abgesehen, war
die Leistung tadellos. Hube dirigierte einen schwung- und briovollen Verdi,
wobei allerdings auffiel, daß ein Mitatmen mit den Sängern noch nicht
ganz vorhanden war. Positiv fiel aber auf, daß er die Sänger niemals mit
den Orchesterwogen zuzudecken drohte. AHS & MK
P.S.
Weshalb "7/5 Giovanna D' Arco" als Titel? Nun, wir besuchten auch die
Vorstellung am 15.09.02 - bis zum Ende 1. Akt erste Szene jedenfalls.
Natalia Kostenko schlug in Höhe und Koloraturen besser als in der Premiere,
Gerard Quinn bestätigte, daß seine Leistung keine Eintagsfliege war, und
Mario Diaz zeichnete sich mit den bereits gehörten Mankos aus.
Die Vorstellung wurde nach der genannten Szene abgebrochen, und die Pause
vorgezogen. Nach ca. zwanzig Minuten bedeutete das Klingeln den hoffnungsfrohen
Besuchern den Fortgang der Aufführung. Doch mitnichten - man brach die
Vorstellung mit der Begründung, es gäbe einen Wasserschaden, ab und schickte
das Publikum aus Sicherheitsgründen nach Hause.
Die Karten sollen nach Auskunft des Theaters erstattet bzw. umgetauscht
werden. Es hätte allerdings einen besseren Eindruck gemacht, wenn die
Kasse an diesem Abend nochmals geöffnet worden wäre. Denn so ist wegen
des Schließtages eine Erstattung oder ein Umtausch frühestens zwei Tage
nach der Vorstellung möglich, was besonders für von außerhalb kommende
Besucher sehr lästig ist.
P.P.S. Der Umtausch hat nach vorherigem Telefonat für den 21. problemlos
funktioniert.
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