"Weniger
wäre mehr." - Dieser Grundsatz muß auch über die neuste Inszenierung von
Jürgen TAMCHINA gesagt werden. Wozu wird wieder der unsäglich störende,
überflüssige Bewegungschor eingesetzt, wo man doch über ein spielfreudiges
und vor allem spielfähiges Ensemble verfügt???
Die
Gags, die ebenjener Bewegungschor, wohl als lustige Einlagen einer an
sich schon komischen Handlung gedacht, über die Rampe bringt, sind so
platt wie abgeschmackt. Bühnenbild und Chorkostüme (Maren CHRISTENSEN)
sind der Mottenkiste für modernes Regietheater entnommen. Man sieht Priester
und Nonnen, Polizisten und Bauarbeiter über die Bühne huschen. Der Chor
trägt einheitliche Perücken, Sonnenbrillen und orange Bademäntel am Strand...
Man
erlebt trotzdem einen amüsanten Abend, was in erster Linie dem hervorragenden
Sängerensemble zu verdanken ist, das bis auf zwei Ausnahmen komisches,
aber gleichzeitig kultiviertes und gesanglich anspruchsvolles Theater
bietet.
Daß
der Türke Selim, dem Mark SCHNAIBLE Gestalt und Stimme verleiht, reichlich
untürkisch wirkt, ist da Nebensache. Der junge Bassist, der sich erneut
in stimmlicher Höchstform befand, gibt den fremdländischen Macho so überzeugend,
daß man fast glauben könnte, er hielte sich tatsächlich für unwiderstehlich.
Hier steht die Zukunft einer Stimmlage auf der Bühne - mit allen Fähigkeiten,
entdeckten und unentdeckten.
Dorin
MARA (Der Dichter) unterdessen hat mit dieser Produktion seine komische
Ader entdeckt, und man ist erstaunt, wieviel sprühender Witz in dem sonst
so ernst wirkenden Bariton steckt. Vorbei ist es mit der manchmal ein
wenig hölzernen Unbeholfenheit. Herausgekommen sind wieder neue stimmliche
Facetten (Bitte, bitte bald einen "Barbiere" oder "Liebestrank"!) und
witzige Momentaufnahmen.
Neben
dieser dezenten Komik wirkte Damon Nestor PLOUMIS als Geronio noch plumper
als ohnehin schon. Der Sänger ist abgesehen von einer ständig vorhandenen
Kurzatmigkeit nicht in der Lage, darstellerisch mitzuhalten. Halsbrecherische,
akrobatische Kunststückchen sind wohl kaum ein vollwertiger Ersatz für
fehlendes schauspielerisches Talent. Bei solch einem Ehemann kann Fiorilla
kaum mehr als sich langweilen.
Malin
BYSTÖRM allerdings stellt den Zuschauer vor das Problem, daß sich nicht
vorstellen kann, wie sie das Dreiecksverhältnis - Ehemann/Liebhaber und
schließlich Türke - managt. Ihrer Figur fehlt neben den stimmlichen Möglichkeiten,
besonders in den Koloraturen, die Ausstrahlung einer femme fatale.
Schade,
denn was man in diesem musikalischen Schmuckstück Maestro Rossinis an
weiblicher Finesse an den Mann bringen kann, bewies Wilhelmina VAN DER
HELM als Zaida. Ein Feuerwerk an Stimme, Ausstrahlung und Sex-Appeal in
bester Tradition der Rossini-Interpretinnen von Callas bis Baltsa! Die
angenehme, manchmal rauchige Stimme meistert alle Anstrengungen der Partie.
Ihre Spielfreude ist ungehemmt und natürlich.
Wer
sich in den vergangenen Jahren gefragt hat, wohin Roberto GIONFRIDDO noch
will, der erhält in dieser Inszenierung eine Antwort: aufs Klavier strebt
der junge Tenor. Dort ganz oben angekommen, schmettert er neben "Santa
Lucia" auch die Arie von seiner Liebe zu Zaida, die ihn schmählichst zugunsten
Selims fallenließ. Hat die Frau denn kein Herz?!
Auch
Patrick BUSERTs Don Narciso ist bedauerlicherweise in die falsche Frau
verliebt. Doch er besingt sein Unglück - selbst langmähnig blondgelockt,
was ihm ausgezeichnet steht - mit einer Stimme reinsten Klangs sowie einem
treffsicheren Tenor, der sich für andere Rolle in diesem Fach wärmstens
empfiehlt.
Ein
gänzliches Versagen mag man dem Regisseur nicht vorwerfen. Zwar läßt er
die Oper auf deutsch aufführen, obwohl die Italienischkenntnisse des Sängerensembles
nicht angezweifelt werden können (deutsch singen jedenfalls 60% mit Akzent),
doch mit der Auswahl von Daniel RÖHM als eigensinnige, klavierspielende
Begleiterin des Dichters hat Tamchina ins Schwarze getroffen.
Überraschend
war die Leistung von Rüdiger BOHN, der das PHILHARMONISCHE ORCHESTER zu
funkensprühender musikalischer Interpretation anstachelte und darüber
auch nicht die zuverlässige Sängerbegleitung vergaß. Letztendlich bleibt
nur ein Fazit: Wer Spaß haben will, herzhaft lachen möchte und auf ein
First-Class-Musikerlebnis erpicht ist, der sollte Italien in der Lübecker
Version kennenlernen. AHS
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