"And
so it must be…"
Daß
"Les Miserables" nicht nur recht populär ist, sondern vor allem süchtig
macht, ist an dieser Stelle sicherlich noch niemanden aufgefallen. Wie
auch immer, der Vorsatz "vorläufig bitte nicht wieder London" (weil Pre-Olympia
und damit voller Baustellen, Touristen etc.) hielt exakt zwei Monate.
Dann folgte aufgrund eines kurzfristigen, durch den derzeit gedrehten
"Les Mis"-Film bedingten Besetzungswechsel der nächste West End-Besuch.
Die
Ausstattung von "Les Miserables" im Queen's Theatre ist mit weniger technischen
Raffinessen ausgestattet als die Tourproduktion zum 25. Jahrestag, wirkt
aber nicht halb so angestaubt wie z.B. die im März gesehene West End-Produktion
vom "Phantom of the Opera". Alles ist ausgesprochen praktikabel, manches
(z.B. Javerts Sprung von der Brücke) recht beeindruckend gelöst. Ideenreicher
Minimalismus, ohne billig zu wirken.
Die
Besetzung dieses Samstagabends bot die erwarteten Glanzleistungen ebenso
wie die eine oder andere ausgesprochen positive Entdeckung.
Alexia
KHADIME ist hier beispielsweise zu nennen, die ihre teils recht ruppige
Eponine mit einer bereits sehr beeindruckenden Stimme sang. Die eine oder
andere stimmliche Klippe bedürfte vielleicht noch des Rats eines Gesanglehrers,
aber insgesamt betrachtet, hörte man eine bemerkenswert reife Interpretation.
Gleiches gilt für die mit viel Temperament und Einfühlungsvermögen gezeigte
schauspielerische Darstellung.
Lisa-Anne
WOOD stand dem in nichts nach. Ihre Cosette zeichnete sich durch einen
Gutteil Selbstbewußtsein und eine entsprechende stimmliche Charakterisierung
aus. In den Szenen mit Marius wirkte sie rollendeckend niedlich, ohne
in den manchmal üblichen Zuckerwatte-Stil zu verfallen. Trotzdem ihre
Stimme nicht wirklich groß ist, gelang es der jungen Künstlerin ausgesprochen
gut, sich ihren Partnern gegenüber zu behaupten. Marius wurde von Craig
MATHER nach einigen kleineren Anlaufschwierigkeiten gut gesungen und der
Rolle entsprechend schwärmerisch gespielt.
David
SHANNONs Stimme verfügt über eine ausgesprochen schöne Mittellage. Leider
begeht er als Jean Valjean den, live häufig gehörten, Fehler, die hohen
Töne beinahe mit Gewalt in die Kopfstimme zu drücken, was einen recht
unangenehmen Klang erzeugt. Schade, tat es doch nicht wirklich not. Die
Charakterisierung von der schauspielerischen Seite her gelang ihm um so
besser, je älter Valjean wurde, und so sah man in der Schlußszene eine
sehr bewegende Darbietung.
Als
Gegenpart gab Earl CARPENTER, für zwei Wochen als "Ersatz" für den filmenden
Hadley Fraser eingesetzt, einen Javert wie aus dem Bilderbuch. Seine Stimme
hat insbesondere in den tiefen Lagen noch einmal an Farbe gewonnen. Dieser
neue, samtig dunkle Tonfall paßt hervorragend zu Javert. Immer wieder
sehenswert ist Earl Carpenters Charakterisierung der Figur. Es sind all
die kleinen Gesten, die kommentierende Mimik und die Aufmerksamkeit für
alles, was rundherum auf der Bühne geschieht, die seine Interpretation
so interessant machen. Insgesamt war es wieder ein Lehrstück, wie Musical
dargeboten werden sollte: als eine Kombination aus durchdachtem Spiel
und professionellem, aber trotzdem ausdruckvollem Gesang.
Als
Thenardiers wirklich großartig waren Leanne
ROGERS und Cameron BLAKELY - sie plakativ bösartig und gemein, er eine
ungesunde Mischung aus Filou und notorischem Verbrecher. Musikalisch zeigten
sich beide den Anforderungen der jeweiligen Partie gewachsen.
Spontan
fallen mir genau zwei Leute ein, die ich als Enjolras wirklich mochte.
Scott GARNHAM gehört zwar nicht dazu, er fällt aber auch nicht in die
Kategorie "worst case". Die Interaktion zwischen Enjolras und Grantaire
zeigte, daß sich tatsächlich einmal Gedanken um die Beweggründe der Figur
gemacht wurden. Der ignorante Touch und das demonstrative Verleugnen der
Konsequenzen des eignen Handels paßten hier gut. Stimmlich wurde eine
überaus solide Leistung geboten.
Adam
LINSTEAD war als Bischof von Digne wenig salbungsvoll, was aber trotzdem
nicht unpassend wirkte, sondern einen anderen Blickwinkel auf die Figur
ermöglichte. Sein Grantaire kann nur als grandios bezeichnet werden.
Stets präsent zeichnete er ihn als eher pazifistisch veranlagt, als eine
Person, der zwar das Ziel der Revolte zwar teilt, den dafür eingeschlagenen
Weg aber nicht. Für die Größe seine Stimme indes würden sich inzwischen
eigentlich umfangreichere Partien empfehlen.
Caroline
SHEEN konnte dagegen leider nicht überzeugen. Ihre Fantine wirkte zu eindimensional,
und man vermißte eine deutliche Zeichnung der Entwicklung der Figur. Die
Stimme klang streckenweise sehr matt und trocken.
Von
den kleineren Partien unbedingt erwähnt werden muß Shaun DALTON, der einen
prächtig gesungenen Factory Foreman gab. Überhaupt ist die hohe Qualität
der Ensembles auf der Insel immer wieder bewundernswert. So boten an diesem
Abend Daryl ARMSTRONG, Sarah BOULTON, A J CALLAGHAN, Mary CORMACK, Zoe
DOANO, Christopher JACOBSEN, Lean KAY, George MILLER, Carl MULLANEY, Helen
OWEN, Liz SINGLETON, James SMOKER, Robert VICKERS und Dylan WILLIAMS in
all ihren kleineren und größeren Rollen eine durchweg ausgezeichnete Leistung.
Jack
COSTELLO sang Gavroche rollendeckend frech und selbstbewußt. Isabelle
METHVEN war als kleine Cosette so niedlich, daß man sie wohl eingepackt
und mitgenommen hätte, wäre Valjean nicht schneller gewesen. Georgia PEMBERTON
durfte als kleine Eponine zwar nichts singen, hüpfte aber munter auf der
Bühne herum.
Die
musikalische Leitung des Abends war solide, hätte aber stellenweise vielleicht
noch etwas mehr Schmiß vertragen können.
"Les
Miserables" gehört nicht ohne Grund zu den populärsten Musicals. Schlußendlich
kann man sich an dieser Musik kaum satt hören. Dieses Live-Erlebnis war
die Reise nach London definitiv wert. AHS
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